Zw. 204-207 n. Chr.
[Übersetzt von Dr. K. A. Heinrich Kellner]
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Inhalt:
8. Cap. Wenn Gott zu seiner Schöpfung ihrer bedurfte, so ist er von ihr abhängig.
9. Cap. Ausserdem war sie nach seinen Voraussetzungen schlecht, und Gott nicht eigentlicher Herr derselben. Wie kam er also dazu, aus ihr etwas zu schaffen? |60
10. Cap. Fortsetzung und Schluss dieses Arguments.
17. Cap. Fortsetzung und Abschluss derselben.
19. Cap. Über die Missdeutung der Stelle: Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Gen. 1, 1.
20. Cap. Weitere Beweise dafür, dass die hl. Schrift nicht lehrt, Gott habe aus einer vorhandenen Materie geschaffen. Sprichw. S, 22 u. Joh. 1, 1 u. 8.
22. Cap. Dies ist dann auch wirklich die Methode, die in der hl. Schrift beobachtet wird.
24. Cap. Es spricht von vornherein gegen Hermogenes, dass der Ausdruck "Materie" der hl. Schrift ganz unbekannt ist. |61
28. Cap. Über die vermeintliche Unsichtbarkeit und den chaotischen Zustand der Materie.
29. Cap. Wie die successive Erschaffung und Einrichtung der Erde zu verstehen sei.
33. Cap. Rückblick auf das Bisherige.
36. Cap. An andern Stellen gibt er sie wieder für körperlich und zugleich unkörperlich aus.
40. Cap. Sie enthalten auch einen Widerspruch in sich.
45. Cap. Das ist aber eine der hl. Schrift ganz unbekannte Theorie. |62
1. Wir haben die Gewohnheit, der Kürze halber die Häretiker auf Grund ihres späteren Auftretens mittels der Präskriptionen abzuweisen. In dem Maasse nämlich, als die wahre Glaubenslehre die frühere ist, ----und sie verkündigt ja das zukünftige Auftreten von Häresien vorher ---- in dem Maasse werden alle später zum Vorschein kommenden Lehren das Vorurteil gegen sich haben, Häresien zu sein, weil solche als zukünftig durch die echte ältere Glaubenslehre angekündigt wurden. Die Lehre des Hermogenes aber ist nun so gar gewaltig neu! Denn der Mann lebt bis auf den heutigen Tag in dieser Zeitlichkeit, Er ist von Haus ein Häretiker, sowie auch ein Störenfried, der seine Mundfertigkeit für Beredsamkeit hält, seine Unverschämtheit für Energie ansieht und glaubt, ein gutes Werk zu thun, wenn er jeden Menschen beschimpft. Ausserdem malt er unerlaubterweise Bilder, entschuldigt seine Wollüste mit dem Gebot Gottes,1) welches er, wo es sich um seine Kunst handelt, verachtet, und ist in doppelter Hinsicht ein Betrüger, mit dem Pinsel2) und mit der Feder, von Kopf bis zu Füssen ein Fälscher der Lehre und des Ehebandes, wie denn die Verwandtschaft mit Heiratslustigen immer nicht sauber ist und auch der Hermogenes der Apostelzeit in der Glaubenslehre nicht verharrte.3) Jedoch was liegt an der Person; ich habe es mit ihrer Lehre zu thun. Hermogenes scheint denselben Christus und diesen in keiner andern Weise anzuerkennen wie wir, und doch nimmt er einen andern an und stellt sich ihn anders vor, ja er beseitigt alles, was Gott ist, da er nicht will, dass derselbe das Weltall aus Nichts geschaffen habe. Er hat sich nämlich vom Christenthum ab-, der Philosophie zugewendet, von der Kirche zur Akademie und zu den Hörsälen. Dort entlehnte er den Stoikern die Annahme einer mit Gott gleichzeitigen Materie, die immer dagewesen, ungeboren, ohne Anfang und ohne Ende sei, aus welcher der Herr nachmals alles gemacht habe.
2. Diesen Urschatten hat der völlig lichtlose, ungeschickte Maler mit folgenden Beweisführungen gefärbt: Er schickt voraus, dass der Herr aus sich selbst alles gemacht habe, entweder aus Nichts oder aus einem Stoff, um sodann, nachdem er gezeigt hat, Gott habe weder aus sich selbst noch aus Nichts schaffen können, dann die noch übrig bleibende dritte Behauptung darauf zu begründen, er habe aus etwas anderem geschaffen und dieses Etwas sei dann eben die Materie gewesen. Dass der Herr aus sich selbst habe schaffen können, leugnet er, weil die aus ihm heraus erschaffenen Dinge dann Teile von ihm gewesen sein würden. Nun gehe er aber nicht in eine Teilung ein, weil er, als der Herr, unteilbar, |63 unverkürzbar und stets einer und derselbe sei. Wofern er aber etwas aus sich selbst gemacht hätte, so wäre das etwas von ihm gewesen. Aber alles, was werde, und was er mache, das sei für unvollkommen zu halten, weil es teilweise wird und er es teilweise macht. Hätte er aber als Ganzer ein Ganzes gemacht, so müsste er gleichzeitig das Ganze sein und auch nicht. Denn er hätte müssen zu gleicher Zeit das Ganze sein, um sich selbst hervorzubringen, und wiederum nicht das Ganze sein, damit es aus ihm selbst entstehe. Das wäre aber sehr schwer. Denn wenn er gewesen, so brauchte er nicht zu werden; er ist ja. Wäre er aber nicht, so könnte er nicht hervorbringen; er ist ja nicht. Der aber, welcher stets ist, wird nicht erst, sondern er ist in die Ewigkeit der Ewigkeiten. Also schliesst Hermogenes, wer nicht in der Lage war, aus sich schaffen zu können, der hat auch nicht aus sich geschaffen. Ebenso leitet er dann die Behauptung, der Herr habe nicht aus Nichts schaffen können, so ein, dass er feststellt, er sei gut, ja im höchsten Grade gut und wolle die Dinge so gut und so trefflich schaffen, als er selbst sei, oder besser, er wolle und schaffe nur Gutes und Treffliches. Und so hätte denn entsprechend seiner eigenen Beschaffenheit nur Gutes und Treffliches von ihm ausgehen dürfen. Es fänden sich aber auch böse Dinge, die von ihm erschaffen seien; sie seien mithin nicht aus seinem Denken und Wollen hervorgegangen; denn wären sie das, er würde doch nichts seiner unpassendes und unwürdiges geschaffen haben! Was er also nicht seinem Willen entsprechend gemacht habe, das müsse man so ansehen, als sei es durch einen fremden, fehlerhaften Einfluss so geworden und es stamme ohne Zweifel aus der Materie.
3. Daran reiht Hermogenes noch einen andern Beweis: Gott, sagt. er, sei stets Gott und auch stets Herr gewesen und niemals nicht Gott. Nun sei es aber in keiner Weise möglich, dass er beständig als Herr und beständig als Gott gelte, wenn es nicht in früherer Zeit immer etwas gab, worüber er Herr war. Es habe also, beständig eine Materie gegeben, für die er Herr und Gott war. ---- Diese seine Annahme will ich mich beeilen, gleich hier in ihr Nichts aufzulösen. Ich habe nur wegen der Unkundigen noch geglaubt, sie anführen zu sollen, damit sie sehen, dass man auch seine übrigen Beweise zu verstehen und zu widerlegen wisse. In Betreff der Benennung "Gott" behaupten wir, dass sie sich stets bei ihm und in ihm gefunden habe, die Benennung "Herr" dagegen nicht. Es verhält sich nämlich mit beiden verschieden. Gott ist der Name für seine Substanz, d. h. das göttliche Wesen selbst, "Herr" dagegen bezeichnet nicht die Substanz, sondern die Macht. Die Substanz und ihr Name, nämlich Gott, waren stets bei einander; die Bezeichnung Herr folgte nachher, als Hindeutung auf ein hinzutretendes Moment. Seitdem es nämlich angefangen hatte, Dinge zu geben, an welchen sich die Macht des Herrn |64 bethätigen konnte, von da an wurde er durch Hinzutritt des Machtver-hältnisses dem Namen und der Sache nach Herr. Denn Gott ist ja auch Vater und auch Richter, ohne jedoch darum, weil er immer Gott ist, auch beständig Vater und Richter zu sein. Denn er konnte weder Vater sein vor dem Sohn, noch Richter vor der Sünde. Es war aber eine Zeit, wo es für ihn keinen Sohn 4) und keine Sünde gab, wodurch er zum Richter und Vater hätte werden können. So war er auch nicht Herr vor der Existenz dessen, wovon er der Herr hätte sein können; sondern er sollte nur künftig Herr werden; wie er Vater durch den Sohn und Richter nach der Sünde wurde, so Herr durch das, was er zu seinem Dienste erschuf. Scheinen dir das Spitzfindigkeiten, Hermogenes? Wacker steht uns die hl. Schrift zur Seite, welche diese beiden Namen bei ihm auseinander hält und sie zu ihrer Zeit hervortreten lässt, nämlich die Bezeichnung Gott, was er stets war, gibt sie ihm sofort: "Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde" 5) und auch nachher noch, so lange er die Dinge noch schuf, deren Herr er sein sollte, setzt sie bloss den Namen Gott: Gott sprach, Gott machte, Gott sah, nirgends steht noch "Herr". Als aber alles vollendet war und vor allem der Mensch selbst, der ihn im eigentlichen Sinne als Herrn anerkennen und auch als Herrn bezeichnen sollte, da erst wird auch noch die Benennung Herr beigesetzt: "Gott, der Herr, nahm den Menschen, den er gebildet hatte" und "Gott, der Herr, befahl dem Adam." 6) Seitdem er etwas hat, was ihm zugehört, ist er auch Herr, da er früher bloss Gott gewesen war. Denn Gott war er an und für sich; für die Dinge aber war er zu gleicher Zeit Gott, als er ihr Herr war. So sehr Hermogenes also überzeugt ist, es habe stets eine Materie gegeben, weil Gott stets Herr gewesen sei, in demselben Maasse wird es zur Gewissheit werden, dass einmal nichts existirte, weil es gewiss ist, dass Gott nicht immer Herr war. Ich will noch mehr darüber sagen, um derentwillen, die es noch nicht verstehen, zu denen Hermogenes in erster Linie gehört, und will seine Versuche gegen ihn selbst kehren. Da er nämlich behauptet, die Materie sei weder geschaffen noch geworden, so finde ich, dass auch in dieser Hinsicht die Benennung "Herr" der Materie gegenüber Gott nicht zukommt; denn sie muss notwendig unabhängig sein; da sie keinen Ursprung hat, so hat sie auch keinen Urheber; sie verdankt niemandem ihr Dasein. Daher ist sie auch niemandem unterthänig. Also von dem Augenblicke an, wo Gott seine Macht gegen die Materie bethätigte, indem er sie zum Schaffen verwendete, von diesem Augenblicke an Hess sie Gott als Herrn über sich schalten und beweist damit, dass er dieses 7) so lange nicht war, als sie jenes war. |65
4. So will ich denn nun meine Untersuchungen über die Materie mit dem Punkte beginnen, dass Gott sich derselben bemächtigt haben soll, während sie doch gleich ihm nicht entstanden, gleich ihm ungeschaffen, gleich ihm ewig, ohne Anfang und ohne Ende gedacht wird. Denn es gibt keinen andern Ursprung für Gott als die Ewigkeit. Das Wesen der Ewigkeit besteht aber in nichts anderem, als darin, stets gewesen zu sein und immer zu sein, als Folge des Vorzugs, keinen Anfang und kein Ende zu haben. Wenn sie eine Eigentümlichkeit Gottes ist, so dürfte sie auch ausschliesslich Gott eigen sein, da sie seine Eigentümlichkeit ist. Denn würde sie noch einem andern beigelegt, so wäre sie schon keine Eigentümlichkeit Gottes mehr, sondern ihm gemeinsam mit dem, welchem sie noch beigelegt wird. "Wenn es auch sonst noch Wesen gibt, die Götter genannt werden, im Himmel und auf der Erde, so ist aber doch nur einer Gott, der Vater, aus welchem alles ist." 8) Um wie viel mehr muss bei uns Christen, was Eigenschaft Gottes ist, auch als sein ausschliessliches Eigentum gelten! Sie würde aber, wie gesagt, schon nicht mehr seine Eigentümlichkeit sein; denn ein anderer besässe sie auch. Wenn sie nun Eigenschaft Gottes ist, so muss sie auch etwas Einziges sein, um dem Einzigen zugehören zu können. Oder was sollte das Eine und Einzige sein, wenn nicht das, dem nichts sonst gleich kommt, und was das Vorzüglichste, wenn nicht das, was über allem steht, allem vorgeht und aus dem alles hervorgeht? Dadurch, dass Gott allein diese Eigenheiten besitzt, ist er Gott, und indem er sie allein besitzt, ist er der Einzige. Hätten andere sie auch, so würde es so viele Götter geben, als Wesen da sind, welche die göttlichen Eigenheiten besitzen. So führt Hermogenes also zwei Götter ein. Denn er führt die Materie als etwas Gott gleiches ein. Gott darf aber nur einer sein; denn wer das höchste Wesen ist, ist Gott; höchstes Wesen aber wird nur das sein, was einzig ist; einzig aber kann das nicht sein, dem etwas gleich steht. Nun wird aber die Materie, wenn man sie für ewig hält, Gott gleich gestellt.
5. Aber Gott ist doch Gott und Materie ist Materie. ---- Das wäre, als wenn die blosse Namensverschiedenheit sonstiges Gleichsein verhinderte, auch da, wo der wesentliche Zustand sich als derselbe erweist. Mag die natürliche Beschaffenheit verschieden sein, mag auch die Form nicht die gleiche sein, wenn es sich nur mit der Wesenheit in gleicher Weise verhält. Gott ist ohne Entstehung. Ist es denn die Materie nicht auch? ---- Gott ist immer. Ist es denn die Materie nicht auch? ---- Beide sind ja ohne Anfang, beide ohne Ende, beide auch Ursachen des Weltall, sowohl der Erschaffende. als auch das, woraus er schuf. Denn man kann nicht umhin, auch der |66 Materie, aus der das Weltall besteht, eine ursächliche Beziehung zu allem beizulegen. Welche Antwort wird Hermogenes nun geben? Die Materie wird darum nicht sofort Gott gleichgestellt, wenn sie etwas göttliches an sich hat; denn da sie es nicht vollständig besitzt, so konkurriert sie nicht zu vollständiger Gleichstellung. ---- So? Welchen Vorzug hat er denn Gott vor der Materie gelassen und was fehlt noch daran, dass er ihr nicht vollständige Gottheit beigelegt hätte? Schon das, lautet seine Antwort, dass dem lieben Gott selbst bei diesem Verhalten der Materie sein Ansehen und seine Substanz gewahrt bleibt, kraft deren er der einzige und erste Urheber der Dinge ist und als der Herr von allem angesehen wird. Die Wirklichkeit aber fordert, dass Gott in der Weise einzig sei, dass alles, was ihm zukommt, auch für ihn allein in Anspruch genommen werde; denn es wird ihm nur dann zukommen, wenn es ihm allein zukommt, und infolge davon ist die Annahme eines andern Gottes gar nicht möglich, da niemand etwas haben kann, was Gott zugehört. Also, wendet man nun ein, dann haben wir auch nichts von Gott? O doch, wir haben dergleichen und werden es haben, aber von ihm, nicht aus uns selbst. Wir werden sogar Götter sein, wenn wir würdig werden, diejenigen zu sein, von denen es heisst: "Ich habe es gesagt, Götter seid Ihr" und: "Es stand Gott in der Mitte der Götter",9) jedoch nur infolge seiner Gnade, nicht unseres eigenen Besitzes. Denn er ist es allein, der Götter macht. Zur Eigenschaft der Materie aber macht er, was sie mit Gott gemein hat; oder aber, wenn sie etwas von Gott empfangen hat, was Gott zugehört, ich meine Anteil an der Ewigkeit, so darf man auch glauben, sie habe sie mit Gott gemein, ohne jedoch Gott zu sein. Was soll es aber heissen, wenn Hermogenes sich zu der Ansicht bekennt, sie habe etwas mit Gott gemein, und dabei doch behauptet, das, was er der Materie nicht abspricht, sei Gott allein eigen?!
6. Der einzige zu sein, der erste, der Urheber und Herr aller Dinge und mit niemandem vergleichbar ---- das, behauptet Hermogenes zwar, sei Gott allein vorbehalten, legt aber eben diese Eigenschaften alsbald auch der Materie bei. Gott ist allerdings so. Gott wird das selbst bezeugen und er hat es zuweilen auch bei sich selbst beschworen, dass kein anderer sei wie er.10) Allein Hermogenes macht ihn zum Lügner. Denn seine Materie würde gerade so sein, wie Gott, ungeschaffen, unentstanden, ohne Anfang und ohne Ende. Gott sagt also: "Ich bin der erste." 11) ---- Wie könnte er der erste sein, wenn die Materie ebenso alt ist? Bei gleichaltrigen und gleichzeitigen Dingen kann es keine Aufeinanderfolge geben. Oder war etwa die Materie auch zuerst? "Ich habe allein den Himmel |67 ausgespannt", sagt Gott.12) Aber er hat es ja nicht allein gethan, denn er hat ihn in Gesellschaft mit der ausgespannt, aus der er ihn entnahm. Wenn unser Gegner den Satz aufstellt, die Materie habe existiert, ohne das Bestehen Gottes zu beeinträchtigen, so kann es ihm passieren, dass er von uns mit der Gegenbemerkung verhöhnt wird, dann habe ebenso Gott existiert ohne Beeinträchtigung des Bestehens der Materie, da das Bestehen ja beiden gemeinsam zukommt. Es würde auch also der Materie ihre Existenz verbleiben, aber in Gemeinschaft mit Gott; denn auch Gott existiert ja allein, aber ---- in Gemeinschaft mit ihr. Sie war auch das erste Existierende ---- in Gemeinschaft mit Gott; denn Gott war ja auch der erste ---- in Gemeinschaft mit ihr. Sie ist mit nichts zu vergleichen ----in Gemeinschaft mit Gott, da ja auch Gott mit nichts zu vergleichen ist ---- aber in Gemeinschaft mit ihr. Sie ist auch Urheberin der Dinge ----zusammen mit Gott ---- und Herrin ---- mit Gott. Das heisst es, Gott habe einige, aber nicht alle Eigenschaften der Materie. Somit hat Hermogenes Gott nichts übrig gelassen, was er nicht auch der Materie beilegt, so dass nicht sowohl die Materie von Gott, als Gott von der Materie absorbiert wird. Wenn folglich die Eigenschaft, die wir als Gott zustehend reservieren, nämlich allzeit existiert zu haben, ohne Anfang und ohne Ende, und der erste und einzige Urheber aller Dinge gewesen zu sein, der Materie ebenfalls zukommt, so frage ich: Welche Eigenschaften hat denn die Materie noch im Unterschiede und abgesehen von Gott und folglich für sich allein besessen, vermöge deren sie mit Gott nicht in Vergleich gestellt werden kann? Da alle Eigenschaften Gottes bei ihr vorkommen, so gibt das für sonstige Gleichheit genügende Anhaltspunkte.
7. Wenn er behauptet, die Materie sei kleiner und geringer als Gott, darum von ihm verschieden und darum nicht mit ihm zu vergleichen, weil er grösser und erhabener sei, so erhebe ich die Einrede, was ewig und unentstanden ist, kann sich keine Verkleinerung und Erniedrigung gefallen lassen. Denn eben seine Ewigkeit macht Gott zu dem, was er ist, macht, dass er hinter nichts als der geringere und niedrigere zurücksteht, sondern im Gegenteil grösser und erhabener ist als alles. Denn wie die übrigen Wesen, welche entstehen und vergehen und darum nicht ewig, sondern einmal dem Untergange wie der Entstehung unterworfen, und auch dem, was bei Gott nicht vorkommen kann, nämlich der vorläufigen Verminderung und Unterdrückung, ausgesetzt sind, weil geworden und geschaffen, so kann umgekehrt bei Gott dergleichen nicht stattfinden, weil er überhaupt weder entstanden noch geschaffen ist. Letzteres ist aber eben das Wesen der Materie. |68
Gibt es also zwei ungeschaffene, unentstandene und darum ewige Wesen, Gott und die Materie, welche wegen desselben gemeinsamen Zustandes auch in gleicher Weise das besitzen, was keine Verminderung und keine Unterordnung zulässt, d. h. die Ewigkeit, so werden wir auch nicht sagen können, dass eines von beiden geringer oder grösser sei als das andere, sondern beide stehen als gleich gross und gleich erhaben da, als in gleicher Weise im Besitz jener dauernden und vollkommenen Glückseligkeit, als welche die Ewigkeit betrachtet wird. Denn wir werden uns doch wohl nicht den Vorstellungen der Heiden nähern, die manchmal, wenn sie sich zur Anerkennung Gottes gezwungen sehen, doch noch andere Götter unter ihm beibehalten wollen. Im Göttlichen gibt es keine Abstufungen, denn es ist einzig. Sollte sich aber auch bei der Materie Göttliches vorfinden, weil sie ebenfalls ungeworden, ungeschaffen und ewig ist, dann ist es auf beiden Seiten vorhanden. Denn das Göttliche kann nirgendwo geringer sein, als es selbst.
Wie kann Hermogenes es also wagen, einen Unterschied festhalten zu wollen und die Materie in dieser Weise Gott unterzuordnen, das Ewige dem Ewigen, das Ungewordene dem Ungewordenen, die Urheberin dem Urheber? Sie darf den kühnen Ausspruch thun, auch ich bin die erste, auch ich bin vor allem, ich bin diejenige, aus der alles ist; wir sind gleichzeitig gewesen, beide ohne Anfang, ohne Ende, ohne Urheber, ohne Gott. Wer darf mich einem gleichzeitigen und gleich alten Gott unterordnen? Geschieht es, weil er Gott heisst, so sage ich, ich habe auch meinen Namen. Oder aber, ich bin Gott und er ist die Materie.13) Denn wir sind beide das, was jedes von uns ist. Bist du nun der Meinung, Hermogenes habe die Matevie Gott nicht gleich gemacht, die er ihm allerdings unterordnet?
8. Noch mehr, er stellt sie sogar über Gott und ordnet Gott der Materie unter, da er behauptet, derselbe habe alles aus der Materie gemacht. Wenn er sich nämlich eines Teiles derselben bedient hat zu den Werken der Schöpfung, so steht die Materie, die ihm den Stoff zum Schaffen lieferte, schon über ihm und Gott erscheint der Materie, deren Substanz er bedurfte, als untergeordnet. Denn wessen Sachen man sich bedient, den hat man nötig. Jeder aber ist von dem abhängig, dessen Sachen er bedarf, um sich ihrer zu bedienen. So steht auch jeder, der es zugibt, dass man sich seiner Sachen bediene, in dieser Hinsicht über demjenigen, dem er den Gebrauch gestattet. Die Materie ihrerseits bedarf Gottes also nicht; sie gibt sich aber Gott, der ihrer bedarf, hin. Sie ist reich, besitzend und generös gegen ihn, der, wie mir scheint, gering, ohnmächtig und nicht imstande ist, aus nichts seine beabsichtigte Schöpfung |69 ins Werk zu setzen. Sie hat in der That Gott die grosse Wohlthat erwiesen, dass er jetzt etwas hat, woraus man seine Gottheit erkennt und weswegen man ihn allmächtig genannt hat. Leider ist er schon nicht mehr allmächtig, wenn er nicht auch mächtig genug ist, alles aus nichts hervorzubringen. Allerdings hat die Materie dabei sich selbst auch einen Dienst erwiesen, nämlich den, dass sie nun in Gemeinschaft mit Gott erkannt werden kann, als gleich alt mit Gott, ja sogar als sein Beistand. Schade nur, dass sie dem Hermogenes und den Philosophen, den Stammvätern der Häresien, allein bekannt ist; den Propheten und den Aposteln blieb sie noch immer verborgen, Christo vermutlich auch.
9. Des Ausdruckes, Gott habe die Materie als ihr Herr zu den Werken seiner Schöpfung verwendet, kann sich Hermogenes nicht bedienen; denn als Herr durfte er seinem Besitztum nicht gleichartig sein. Aber vielleicht hat Gott sich ihrer nur leih- und bittweise bedient, und zwar darum leihweise, nicht als Eigentum, weil sie böse war, damit er sich dazu verstehen könne, auch vom Bösen Gebrauch zu machen. Dies war dann natürlich nicht Folge seiner Macht, sondern seiner Ohnmacht, die ihn hinderte, aus nichts zu schaffen. Denn wenn er als Gott Macht über die Materie gehabt hätte, so würde er sie, da er sie als böse kannte, vorher in eine gute umgewandelt haben, als ihr Herr und als der Gute,' um so von einer guten, nicht von einer schlechten Sache Gebrauch zu machen. Jedoch, da er wohl gut, aber nicht ihr Herr war, so bediente er sich ihrer, wie er sie fand, und dokumentierte so seine Bedürftigkeit und Ohnmacht gegenüber der Beschaffenheit der Materie. Wäre er Herr über sie gewesen, so hätte er sie erst verbessert. Diese Antwort muss man dem Hermogenes geben, wenn er behauptet, Gott habe sich der Materie infolge seiner Oberherrschaft über sie bedient, und zwar als einer ihm nicht gehörenden Sache: er hat sie ja nicht gemacht. Darum rührt nun auch das Böse von ihm her; er ist zwar nicht dessen Urheber und bewirkende Ursache, hat es aber jedenfalls, weil der Herr, gestattet. Wofern aber die Materie, als schlecht, ihm nicht gehört, so gehört sie nicht Gott; er hat sich also einer fremden Sache bedient, entweder leihweise, wenn er ihrer benötigt war, oder mit Gewalt, wenn er mächtiger ist als sie. Denn nur auf einem dieser drei Wege kann man fremde Sachen bekommen: durch einen Rechtstitel, durch Belehnung und durch Überwältigung, d. h. zu Eigentum, als Lehen oder als Beute. Da der Besitztitel Eigentum ihm nicht zukommt, so mag Hermogenes die Wahl treffen, ob es sich für Gott besser schicke, leihweise oder mit Anwendung von Gewalt aus der Materie das Weltall geschaffen zu haben. Hätte Gott also nicht besser gethan, gar nichts zu schaffen, als mit Hilfe der Gefälligkeit eines dritten oder im Wege der Gewalt und noch dazu aus etwas Schlechtem? |70
10. Und, gesetzt, die Materie wäre ganz gut gewesen, hätte er es dann seiner nicht für ebenso unwürdig halten müssen, aus fremdem Eigentum zu schaffen, auch wenn es gut war? Es war also thöricht genug von ihm, zu seinem Ruhme die Welt zu schaffen und sich dadurch als Entleiher fremden Eigentums zu offenbaren, und noch dazu eines nicht guten. Dagegen, fragt Hermogenes nun, sollte er denn etwa lieber aus nichts erschaffen, und sich damit auch das Schlechte auf Rechnung seines Willens setzen lassen? ---- Gross ist, meiner Treu, die Kurzsichtigkeit der Häretiker bei solcher Argumentation, wenn sie verlangen, man solle darum, weil sie den Schöpfergott für den Urheber des Bösen halten, noch einen zweiten, bloss guten und trefflichen Gott annehmen, oder die Materie neben den Schöpfer stellen, um das Böse von der Materie, nicht vom Schöpfer ableiten zu können. Bei jedem denkbaren Gott würde sich diese Schwierigkeit immer wieder einstellen, dass er, wer er auch immer sei, als Urheber des Bösen erscheinen kann. Denn wenn er auch das Böse nicht selbst bewirkt hat, so hat er doch dessen Entstehung geduldet, mag es nun kommen, von wem und woher es will. Es möge sich also, da wir über das Wesen des Bösen anderswo aburteilen, auch Hermogenes gesagt sein lassen, dass er auch mit diesem seinem Einfall noch gar nichts ausgerichtet hat. Denn siehe, wenn Gott auch nicht die Ursache des Bösen ist, so steht er doch als derjenige da, der es gutgeheissen hat, indem er die bösen Eigenschaften der Materie, die er als der Gute und als der Feind des Bösen hätte beseitigen sollen, vor der Erschaffung der Welt trotz seiner so grossen Güte ertragen hat. Entweder war er imstande, sie zu bessern und wollte es nicht, oder er wollte es wohl, konnte es aber nicht, der machtlose Gott. Wenn er es konnte und nicht wollte, so ist er selber schlecht, da er das Böse begünstigt, und so gilt, was er zwar nicht hervorgerufen hat, von dessen Dasein er aber doch die Ursache ist, weil es, wenn er nicht gewollt hätte, nicht vorhanden wäre, dennoch als das Seinige,14) indem er sein Dasein nicht verhinderte. Was kann es erbärmlicheres geben!?
Wenn er das Dasein dessen wollte, was er selber nicht schaffen wollte, so handelte er damit gegen sich selbst. Denn einerseits wollte er das Dasein dessen, was er nicht erschaffen wollte, andererseits wollte er das nicht erschaffen, dessen Dasein er doch wollte. Er wollte sein Dasein, als wäre es gut, und es doch nicht erschaffen, als wäre es böse. Indem er es nicht erschuf, sprach er das Urteil, es sei böse, indem er es duldete, hat er es für gut erklärt. Indem er das Böse, als wäre es gut, duldete, anstatt es zu vernichten, steht er als dessen Begünstiger da. Geschah dies von ihm freiwillig, so ist es ein Schimpf für ihn, geschah es aus Zwang, |71 so ist das erbärmlich. Gott wäre dann also entweder der Diener des Bösen oder dessen Gönner; denn er befasste sich mit der Bosheit der Materie oder vielmehr er schuf sogar aus ihrer Schlechtigkeit etwas.
11. Doch mit was für Gründen will uns Hermogenes überreden, die Materie sei etwas böses? Er wird nicht umhin können, dasjenige, dem er Schlechtigkeit zuschreibt, auch schlecht nennen. ---- Wir haben festgestellt, dass das Ewige keine Verminderung oder Unterjochung zulasse und einem zweiten gleich Ewigen gegenüber nicht geringer sei. Darum behaupten wir nun auch, dass ihr nichts Böses anhafte, da sie eine Unterordnung aus dem Grunde überhaupt nicht zulässt, weil, was ewig ist, nicht untergeordnet werden kann. Da aber anderweitig feststeht, dass höchstes Gut das sei, was ewig ist, wie Gott; ---- denn Gott ist der alleinige, weil er ewig ist, und darum der Gute, weil er Gott ist, ---- wie könnte dann der Materie noch das Böse anhaften, da man sie als ewig doch für ein höchstes Gut halten muss? Oder aber, wenn Ewiges des Bösen fähig wäre, so könnte man dasselbe auch von Gott annehmen, und unser Gegner hat sich vergebens damit geschmeichelt, es von Gott entfernt zu haben, wenn es, als der Materie zukommend, mit dem Ewigen vereinbar ist. Oder aber, wenn man etwas Ewiges für schlecht halten darf, so würde das Schlechte, weil ewig, auch unüberwindlich und unbesiegbar sein, und dann strengen wir uns vergeblich an, das Böse aus uns selber zu entfernen. Dann sind auch die dahinzielenden Vorschriften und Anordnungen Gottes vergeblich, ja, Gott hat sogar das Gericht vergebens angeordnet, da seine Strafe ungerecht sein wird. Wofern aber das Böse ein Ende haben wird, sobald sein Fürst in das ewige Feuer wandert, welches Gott ihm und seinen Engeln bereitet hat, nachdem er vorerst in den Abgrundspfuhl verstossen ist, sobald das Offenbarwerden der Kinder Gottes die Schöpfung, die ja der Eitelkeit verfallen ist, von dem Bösen befreit, sobald nach der Wiederherstellung der Unschuld und Unversehrtheit der Schöpfung die zahmen Tiere sich mit den wilden vertragen, die Kinder mit den Schlangen spielen und der Vater dem Sohne seine Feinde, nämlich die Übelthäter, zu Füssen gelegt hat ---- also mit Einem Wort, wenn das Böse ein Ende haben wird, so wird es auch einen Anfang gehabt haben müssen; dann wird auch die Materie einen Anfang haben, aus dem Grunde, weil das Böse ein Ende hat. Denn die Eigenschaften, die dem Bösen beigelegt werden, die kommen dem Zustande des Bösen entsprechend ihr zu. 15)
12. Aber gut, nehmen wir jetzt an, die Materie sei schlecht, ja ganz schlecht, weil sie es von Natur aus ist, wie wir Gott für gut und |72 zwar für sehr gut halten, weil er es ebenso von Natur aus ist. Die Natur eines Dinges aber muss man für etwas Festes und Unveränderliches halten, was ebensowohl in der Bosheit verharret, bei der Materie, als es im Guten unwandelbar und unveränderlich ist, bei Gott. Wenn sich die Natur der Materie vom Schlechten zum Guten umänderte, so würde sie sich umgekehrt bei Gott auch vom Guten zum Schlechten ändern können. Hier wird man uns einwenden: Folglich werden nicht aus Steinen Söhne Abrahams erweckt werden, das Natterngezücht wird keine Früchte der Busse bringen und aus Söhnen des Zornes werden keine Söhne des Friedens, falls die Natur nicht der Veränderung fähig ist. Vergebens wirst du, o Mensch, auf diese Analogien zurückblicken. Wenn es sich um die Materie handelt, die unentstanden ist, dann sind Vergleiche mit Dingen, die entstanden sind, Steine Nattern und Menschen, nicht am Platze. Denn da ihr Wesen einen Anfang hat, so kann es auch ein Ende haben. In betreff der Materie aber halte ein- für allemal fest, dass sie für ungeworden und unentstanden und damit für ewig erklärt worden ist. Daher muss sie ihrer Natur nach auch für unveränderlich und unverwüstlich gehalten werden, nach der Meinung des Hermogenes selber, die er uns entgegenstellt, indem er leugnet, dass Gott aus sich selbst habe schaffen können, da das Ewige sich nicht verändere. Es würde dann nämlich seines frühern Seins verlustig gehen, wenn es infolge einer Veränderung etwas wird, was es nicht gewesen ist und was nicht ewig wäre; der ewige Herr aber könne nichts anderes werden, als was er immer gewesen ist. ---- Mit diesem Satze werde auch ich ihn nach Verdienst zurückweisen. Ich erhebe den gleichen Tadel gegen die Materie; denn Gott erschafft aus ihr, die doch schlecht, ja sehr schlecht ist, gute und treffliche Dinge. "Gott sah, dass die Dinge gut waren und segnete sie",16) natürlich doch nur, weil sie sehr gut, nicht etwa weil sie schlecht oder gar sehr schlecht waren. Danach hatte also die Materie eine Veränderung erlitten, und wenn dem so ist. dann hat sie ihren vorigen Zustand eingebüsst. Denn ihre eigentliche Form ist ihr dadurch verloren gegangen. Aber das Ewige kann nichts einbüssen; denn, wofern es etwas einbüssen könnte, wäre es nicht ewig. Mithin kann es auch keine Veränderung erfahren; denn wenn es ein ewiges Sein hat, so kann es sich in keiner Weise verändern.
13. Es wird sich nun fragen, wie ging es zu, dass aus ihr gute Dinge geschaffen werden konnten, da dieselben doch jedenfalls nicht einer an ihr vorgenommenen Veränderung ihre Entstehung verdanken? Woher rühren bei ihr, da sie schlecht, ja sehr schlecht ist. die guten Keime? Gewiss bringt kein guter Baum schlechte Früchte; denn auch Gott ist mir gut, ---- und kein schlechter Baum gute Früchte; denn es gibt nur eine im höchsten Grade schlechte Materie. Gestellen wir ihr irgend einen guten |73 Keim zu, dann wäre sie nicht mehr einheitlichen Wesens, d. h. nicht durchweg schlecht, sondern zwiespältig, d. h. guter und böser Natur, und es wird sich abermals fragen, ob Licht und Finsternis, Süsses und Bitteres, Gutes und Böses sich vertragen können. Oder aber, wenn es möglich war, dass die verschiedenen Eigenschaften beider, des Guten und des Bösen neben- und miteinander bestanden, die Materie doppelter Natur war und beiderlei Früchte hervorbrachte, dann können auch die guten Früchte nicht mehr Gott beigemessen werden, so wenig als ihm die schlechten zur Last fallen, sondern beide Gattungen gehen aus der Eigentümlichkeit der Materie hervor und gehören der Materie an. Demnach würden wir Gott weder Dank für das Gute noch Abneigung wegen des Schlechten schuldig sein; denn aus seinem Geiste hat er nichts gewirkt. Damit würde bewiesen sein, dass er offenbar ein Diener der Materie geworden ist.
14. Auch dann, wenn man sagen wollte, die Materie habe ihm allerdings die Gelegenheit geboten, doch habe er durch seinen Willen nur Gutes hervorgebracht und es sozusagen aus der Materie an sich genommen, wiewohl auch das unschicklich sein würde ---- selbst dann ist er, da er ganz gewiss das Schlechte aus ihr hervorbringt, dadurch, dass er es nicht nach seinem eigenen freien Willen hervorbringt, von der Materie abhängig; denn er kann nichts anderes thun, als aus etwas Bösem schaffen. Ungern that er es jedenfalls; denn er ist ja gut; aber er that es, weil ungern, aus Zwang, und endlich, weil er es aus Zwang that, so ist er auch ihr Knecht. Was ist also angemessener, notgedrungen das Böse geschaffen zu haben oder aus freiem Willen? Notgedrungen hat Gott es geschaffen, wenn er aus der Materie schuf, freiwillig dagegen, wenn er aus nichts schuf. Dein Drehen und Winden, Gott nicht als Urheber des Bösen hinzustellen, ist also ganz vergeblich; denn es wird auch dann, wenn er sich der Materie als Grundlage zu seinem Schaffen bediente, demjenigen, der geschaffen hat, beigemessen werden, deswegen, weil er der Schöpfer ist. So macht es allerdings einen Unterschied, woraus er schuf, wie wenn er aus nichts geschaffen hätte; und es macht umgekehrt keinen Unterschied, woraus er schuf, sobald er aus demjenigen schuf, woraus es für ihn schicklicher war zu schaffen. Es war aber schicklicher für ihn, aus seinem Willen zu schaffen, als aus Zwang, d. h. es war für ihn schicklicher, aus nichts zu schaffen, als aus einer Materie. Es ist aber auch angemessener, Gott für den freiwilligen als für den abhängigen Urheber des Bösen anzusehen. Jedwede Macht steht ihm besser an als irgend eine Erniedrigung. So werden sich auch, wenn wir zugestehen, die Materie habe zwar nichts Gutes an sich gehabt, der Herr aber habe, wenn er Gutes schuf, es aus sich hervorgebracht, in gleicher Weise andere Fragen erheben. Erstens wenn die Materie überhaupt Gutes gar nichts an sich hatte, so ist auch aus ihr |74 nichts Gutes entstanden, eben weil sie nichts hatte. Sodann aber, entstand es nicht aus der Materie, so ist es mithin aus Gott. Wenn es aber auch nicht aus Gott entstanden ist, so ist es aus nichts geworden. Dieses wäre der einzige Ausweg bei dem Verfahren des Hermogenes.
15. Wofern aber nun das Gute weder aus der Materie entstanden ist, da es sich, weil sie schlecht ist, nicht in ihr befand, noch auch aus Gott, weil nach der Lehre des Hermogenes nichts aus Gott entstehen konnte, so ist es sofort klar, dass das Gute aus nichts entstanden sei; denn es ist aus keinem Wesen entstanden, weil weder aus der Materie noch aus Gott. Ist nun das Gute aus nichts geworden, warum nicht auch das Böse? Oder noch besser, warum soll nicht alles aus nichts entstanden sein, wenn einiges aus nichts entstanden ist? Es müsste denn sein, dass die göttliche Macht, die einiges aus nichts hervorgebracht hatte, nicht mehr ausreichend gewesen wäre, um alles daraus hervorzubringen. Wenn das Gute, da es weder aus dem Nichts noch aus Gott hervorgegangen sein soll, aus der bösen Materie hervorgegangen ist, so würde folgen, dass es aus einer Umwandlung der Materie hervorgegangen sei, und das wäre gegen die vorhin in Abrede gestellte Möglichkeit einer Umwandlung des Ewigen. Woraus besteht das Gute also? Hermogenes dürfte bereits sogar die Möglichkeit seines Bestehens leugnen. Es muss aber unumgänglich notwendig aus einem von den Wesen hervorgegangen sein, aus denen es, wie er behauptet, unmöglich hervorgehen konnte.
Wenn das Böse aber deshalb nicht aus dem Nichts hervorgegangen ist, damit es nicht Gott angehöre, aus dessen Willen es aber doch hervorgegangen zu sein scheinen könnte, sondern aus der Materie, um so dem anzugehören, aus dessen Substanz es entstanden ist, so würde Gott, wie gesagt, auch dann noch als Urheber des Bösen dastehen. Denn er hätte mit derselben Macht und Freiheit des Willens alles Gute oder eigentlich nur Gutes aus der Materie hervorbringen müssen, hat aber trotzdem nicht lauter Gutes, sondern auch Schlechtes hervorgebracht. Entweder wollte er dann also die Existenz des Bösen, falls er die Entstehung des Schlechten zu verhindern imstande war, oder er war nicht imstande, alles gut zu schaffen, wenn er es wollte und nicht that; denn es liegt nichts daran, ob Gott aus Ohnmacht oder freiwillig Urheber des Bösen wurde. Oder was für ein vernünftiger Grund war vorhanden, nachdem er als der Gute Gutes geschaffen hatte, auch das Böse hervorzurufen, als wäre er nicht der Gute, und Dinge hervorzubringen, die gerade zu ihm allein nicht passten? Was brauchte er nach Hervorbringung seiner Werke sich der Interessen der Materie anzunehmen und Böses hervorzubringen? Etwa, damit er als der allein Gute aus dem Guten erkannt würde, die Materie hingegen nicht als schlecht aus dem Schlechten erkannt würde? |75
Das Gute wäre besser gediehen ohne den Anhauch des Schlechten. Auch Hermogenes bekämpft ja die Klügeleien einiger Leute, die behaupten, das Böse sei notwendig gewesen, um das Gute ins Licht zu stellen, da man es aus seinem Gegenteil erkennen müsse. Folglich war entweder nicht einmal deswegen Raum vorhanden, das Böse hervorzubringen; oder aber, wenn irgend ein anderer Grund das Dasein des Bösen erforderte, warum konnte es denn nicht aus dem Nichts hergestellt werden? Denn dann würde ja jener Grund selbst den Herrn entschuldigt haben, so dass er nicht für den Urheber des Bösen gälte, welcher jetzt, da er aus der Materie schafft, dem Bösen zur Entschuldigung gereicht, wenn es überhaupt eine Entschuldigung gibt. So werden wir also 17) bei dieser Untersuchung überall und von allen Seiten auf den Punkt hingetrieben, wohin diejenigen nicht gehen wollen, die das Böse, weil sie sein Wesen nicht prüfen und nicht unterscheiden, wie es entweder Gott beizumessen oder von Gott fernzuhalten ist, auf Grund von allerlei noch unwürdigeren Deduktionen dennoch Gott schuldgeben. 18)
16. Diesen Punkt, der anderwärts vielleicht nochmals zu behandeln ist, 19) erledige ich hier bei Grundlegung der Sache also dahin: entweder muss man das Gute mit dem Bösen, was Gott aus der Materie geschaffen hat, Gott zuschreiben, oder der Materie, aus welcher er es geschaffen hat, oder beiden beides, weil sie beide wechselseitig verbunden sind, er, der geschaffen hat, und sie, aus der er geschaffen hat, oder dem einen das eine und dem andern das andere; denn ein drittes Wesen neben Gott und der Materie existiert nicht. Würde nun beides Gott zugehören, dann würde er auch als Urheber des Bösen dastehen; Gott aber, als der Gute, wird niemals der Urheber des Bösen sein können. Gehört beides der Materie, so erscheint die Materie als Ursache auch des Guten; die Materie aber, als vollständig schlecht, wird niemals Urheberin des Guten sein können. Wenn beides beiden gehört, so wird auch hierin die Materie Gott gleichgestellt und beide sind gleich und stehen dem Guten und Bösen von Rechtswegen gleich nahe. Allein die Materie darf Gott nicht gleichgestellt werden, damit man nicht zwei Götter bekomme. Wenn endlich dem einen das eine, dem andern das andere gehört, dann natürlich Gott das Gute, der Materie das Böse, und man wird weder das Böse Gott noch der Materie das Gute zuschreiben dürfen. Da aber Gott sowohl das Gute als auch das Böse aus der Materie erschafft, so handelt er in Gemeinschaft mit ihr. Wenn dem so ist, dann weiss ich nicht, wo die Ansicht des Hermogenes bleibt, |76 welcher Gott, mag er das Böse aus der Materie geschaffen haben, wie immer er will, ---- durch seinen Willen, aus Zwang oder durch die Vernunft, ----nicht für den Urheber des Bösen halten will.
Wenn ferner derjenige der Urheber des Bösen ist, der es gemacht hat, allerdings mit Hilfe der Materie, die den Stoff lieferte, so beseitigst du damit sofort die Ursache, warum eine Materie eingeführt werden musste. Denn Gott steht trotzdem da, als Urheber des Bösen mittels der Materie, wenn die Materie deshalb angenommen wurde, damit Gott nicht als Urheber des Bösen erscheine. Nachdem so die Materie beseitigt ist, durch Beseitigung ihres Zweckes, so bleibt, nur die Annahme übrig, dass Gott alles aus nichts geschaffen habe. Ob auch das Böse, werden wir sehen, sobald klar geworden ist, um welche Übel es sich handelt, und ob das noch Übel sind, was du dafür hältst. Denn es ist schicklicher, dass er sie aus seinem freien Willen hervorgebracht habe, indem er auch sie aus nichts hervorbrachte, als von einem anderen Wesen darauf geführt, was der Fall wäre, wenn er sie aus der Materie erschaffen hätte. Die Freiheit ist es, die Gott zukommt, nicht die Notwendigkeit. Ich ziehe es vor, anzunehmen, dass er von sich selbst das Böse habe erschaffen wollen, als dass er nicht umhin konnte, es zu schaffen.
17. Dieser Grundsatz ist gefordert durch die Annahme eines einzigen Gottes, da derselbe nur dann der einzige ist, wenn der alleinige, und nur darum der alleinige, wenn nichts gemeinschaftlich mit ihm besteht. In derselben Weise wird er auch der erste sein, weil alles erst nach ihm ist, und es ist darum alles nach ihm, weil es ihm sein Dasein verdankt; es verdankt ihm darum sein Dasein, weil es aus nichts erschaffen ist. So gelangt auch jene Schriftstelle zu ihrer Berechtigung: "Wer hat den Sinn des Herrn erkannt, oder wer war sein Ratgeber? Oder wen hat er um Rat gefragt? Oder wer hat ihm den Weg der Erkenntnis und Wissenschaft gezeigt? Wer hat ihm etwas gegeben, so dass ihm wieder gegeben werden müsste?" 20) Niemand. Denn keine Kraft, keine Materie, kein Wesen von irgend einer andern Substanz stand ihm zur Seite. Wenn er aber aus etwas anderem schuf, so musste er notwendig von diesem den Plan, die fertige Anlage und den Weg der Erkenntnis und Wissenschaft empfangen. Denn dann hatte er seine Werke nach der Beschaffenheit der Sache und der Fähigkeit der Materie einzurichten, nicht nach seinem Willen, so dass er also auch das Böse nicht gemäss seiner Natur, sondern dessen Substanz entsprechend erschuf.
18. Bedurfte Gott zur Erschaffung der Dinge in der Welt einer Materie, wie Hermogenes meint, so hatte er eine weit würdigere und passendere |77 Materie, deren Kenntnis nicht bei den Philosophen zn holen, sondern bei den Propheten zu erwerben ist, nämlich seine Sophia. Denn diese hat allein den Sinn des Herrn erkannt. "Wem ist bekannt, was Gottes und was in ihm ist, ausser dem Geiste, der in ihm ist?" 21) Die Sophia ist aber Geist; sie war seine Ratgeberin, sie ist der Weg der Erkenntnis und Wissenschaft, aus ihr hat er geschaffen, indem er durch sie und mit ihr schuf. "Als er den Himmel bereitete," heisst es, "war ich bei ihm,22) als er fest machte über den Winden das obere Gewölk und als er sicher machte die Quellen dessen, was unter dem Himmel ist,23) da war ich bei ihm, alles befestigend. Ich war es, mit der er sich freute, ich ergötzte mich alle Tage vor seinem Angesichte,24) wann er sich ergötzte, als er den Erdkreis vollendete und sich an den Menschenkindern erlustigte."25) Wer wollte nicht lieber sie für die Quelle und den Ursprung von allem ausgeben, für die wahrhaftige Materie aller Materien, die nicht der Vergänglichkeit unterworfen ist, nicht ihren Zustand wechselt, sich nicht unruhig bewegt, nicht formlos in ihrer Erscheinung ist, sondern ihm entsprossen, ihm zugehörig, wohlgeordnet und wohlgestaltet, wie sie Gott möglicherweise notwendig hatte, er, der mehr des Seinigen bedarf als des Fremden. So wie er sie daher als notwendig erkennt zu den Werken der Welt, ruft er sie hervor und erzeugt sie in sich selbst. "Der Herr," heisst es, "hat mich eingesetzt zu Anbeginn seiner Wege zu seinen Werken. Vor der Zeitlichkeit hat er mich gegründet, bevor er die Erde schuf, bevor die Berge hingestellt wurden, vor allen Hügeln hat er mich gezeugt und vor dem Abgrunde bin ich geboren." 26)
Hermogenes sollte also erkennen, dass die Geburt und Erschaffung sogar der Sophia deshalb gelehrt werde, damit wir nichts für ungeboren und ungeschaffen halten als Gott allein. Denn wenn innerhalb Gottes das, was aus ihm und in ihm selbst war, nicht ohne Anfang gewesen ist ----seine Sophia nämlich ---- die von dem Zeitpunkt an geboren und geschaffen ist, seitdem sie zur Disponierung der Werke in der Welt sich in der Wahrnehmung Gottes zu regen anfing, so ist es viel weniger möglich, dass etwas, was ausserhalb Gottes existiert, keinen Anfang habe. Wenn aber die genannte Sophia der Logos Gottes, die Erkenntnis und die Sophia27) ist, ohne die, nichts geschaffen, wie ohne die Sophia nichts disponiert worden ist, wie wäre es da noch möglich, dass irgend etwas neben dem |78 Vater existiert, was älter wäre als der Sohn Gottes, das eingeborene und erstgeborene Wort, was darum offenbar auch noch erhabener wäre, um davon zu schweigen, dass das Ungeborene stärker ist als das Geborene, und das Unerschaffene mächtiger als das Geschaffene. Denn was, um ins Dasein zu treten, keines Urhebers bedurfte, das wird erhabener sein als das, was eines solchen bedurfte. Wenn mithin das Böse ungeboren, das Wort Gottes aber geboren ist, "er liess hervorquellen", heisst es, "ein sehr gutes Wort",28) dann weiss ich nicht, ob das Böse konnte vom Guten herangezogen werden, das Stärkere vom Schwächern, das Unentstandene vom Entstandenen. So setzt also Hermogenes auch in dieser Hinsicht die Materie über Gott, indem er sie über den Sohn stellt; denn der Sohn ist das Wort und das Wort ist Gott und "ich und der Vater sind eins".29) Aber vielleicht lässt der Sohn es sich mit Gleichmut gefallen, dass die Materie, die dem Vater gleichgestellt wird, vor ihm selber den Vorzug erhält.
19. Doch ich will mich nun auf die Mosaische Originalurkunde berufen, worauf die Gegenpartei ihre Einbildungen vergeblich zu stützen sucht, um sich den Schein zu geben, als entnähme sie ihr Beweismaterial vom richtigen Orte. Daher hat sie sich aus gewissen Worten eine Handhabe gemacht, wie es die Manier der Häretiker ist, alle einfachen Sachen verwickelt zu machen. Sie behaupten nämlich, auch "der Anfang", worin Gott Himmel und Erde schuf, sei etwas substantielles und körperliches gewesen, und man könne darunter die Materie verstehen. Wir aber geben jedem Worte seine ihm zukommende Bedeutung und sagen principium bedeutet Anfang und dieses Wort sei passend gesetzt worden, weil die Dinge zu entstehen anfingen. Denn nichts, was eine Entstehung hat, ist ohne Anfang, ja sein Anfang tritt eben dann ein, wenn die Entstehung beginnt. Anfang ist also eben das Wort für den Beginn der Entstehung, nicht eine Bezeichnung für irgend eine Substanz. Wenn nun gar Himmel und Erde die ursprünglichsten Werke Gottes sind, die Gott vor allem schuf, um im eigentlichen Sinne den Anfang seiner Werke zu bilden, die als die ersten entstanden sind, so bedient sich die hl. Schrift mit vollem Recht zur Einleitung der Worte: "Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde", so wie sie gesagt haben würde: "Am Ende schuf Gott Himmel und Erde", wenn er sie später als das Weltall gemacht hätte. Oder aber, wenn "Anfang" irgend eine Substanz bedeutete, so würde das Ende auch irgend eine Materie sein. Allerdings kann auch irgend etwas Substantielles Prinzip für ein anderes Ding sein, welches aus ihm gemacht werden soll; so ist z. B. Thon das Prinzip der Töpferware, das Samenkorn Prinzip |79 der Pflanze. Wenn wir uns aber des Wortes Prinzip in diesem Sinne bedienen für Ursprung, nicht im Sinne der Aufeinanderfolge, so machen wir die Sache speziell namhaft, wovon es das Prinzip sein soll. Im übrigen, wenn wir uns aber so ausdrücken: Im Anfang 30) machte der Töpfer ein Becken oder eine Urne, dann bezeichnet Prinzip nicht mehr die Materie; denn ich habe nicht den Thon als Prinzip bezeichnet, sondern vom Verlauf des Wirkens gesprochen. Denn der Töpfer machte das Becken, die Urne, vor andern Dingen, um nachher andere Dinge zu machen. Hier wird sich das Wort Prinzip auf die Anordnung der Werke beziehen, nicht auf den Ursprung der Substanzen. Man kann Prinzip auch noch anders erklären, nicht von der Sache. Denn auch das griechische Wort für Prinzip, nämlich ἀρχή, bezeichnet nicht bloss den Vorrang in der Aufeinanderfolge, sondern auch in der Macht, weshalb die Vorsteher und Magistrate auch den Titel Archonten führen. Also auch zufolge dieser Worterklärung wird principium für Vorrang, Macht genommen werden. Denn Gott schuf kraft seines Vorranges und seiner Macht Himmel und Erde.
20. Aber damit ja das griechische Wort nichts anderes bedeuten könne als principium, Anfang, und principium ja keinen andern Sinn zulasse, als den von Anfang, so haben wir als diesen Anbeginn auch noch die kennen zu lernen, die da von sich sagt: "Gott schuf mich zu seinen Werken." Wofern nämlich alles durch die Sophia Gottes geschaffen wurde, so hat Gott, indem er Himmel und Erde im Anfang schuf, sie in seiner Sophia erschaffen. Denn wenn principium die Materie bezeichnen sollte, so hätte die Schrift nicht gesagt: "Im Anfang schuf er", sondern: Aus dem Anfang; er hätte nämlich nicht in der Materie schaffen können, sondern nur aus derselben. Hinsichtlich der Sophia aber konnte gesagt werden in principio. Denn in der Sophia schuf er zuerst, in ihr hatte er bereits denkend und planend geschaffen; sie war ja der "Anfang seiner Wege",31) weil das Denken und den Plan machen die erste Thätigkeit der Sophia ist und sie mit dem Nachdenken den Weg zum Wirken eröffnet. Diesen Beleg aus der hl. Schrift nehme ich für mich auch darum in Anspruch, weil Gott, der Schöpfer, wenn er zeigt, was er geschaffen hat, damit doch noch nicht auch ein Zeugnis dafür ablegt, woraus er geschaffen hat. Denn da bei jeder Thätigkeit drei Grundbegriffe in Betracht kommen, der Wirkende, das Bewirkte und der Stoff, so ist bei jeder ordentlichen Beschreibung eines Werkes auch dreierlei anzugeben, die Person des Hervorbringenden, die Art des Hervorgebrachten und die Form des Stoffes. Wenn sich da, wo das Werk und der das Werk Wirkende bezeichnet sind, kein Stoff angegeben findet, so ist klar, dass es aus nichts hervorgebracht worden. |80 Denn wenn es aus einem Stoffe hervorgebracht wäre, so würde derselbe ebenfalls namhaft gemacht worden sein.
Endlich werde ich zur Ergänzung des alten Testaments das Evangelium herbeiziehen. In diesem hätte um so mehr erklärt werden müssen, dass Gott alles aus irgend einer Materie gemacht habe, als daselbst auch geoffenbart wurde, durch wen er alles geschaffen hat. "Im Anfange war das Wort", in dem Anfange nämlich, wo Gott Himmel und Erde schuf. "Und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort. Alles ist durch dasselbe gemacht und nichts ist ohne dasselbe gemacht worden." 32) Da hier also einerseits gezeigt wird, wer geschaffen hat, nämlich Gott, andererseits das Erschaffene, nämlich das All, endlich durch wen, d. i. durch das Wort, hätte da nicht der Zusammenhang dringend erfordert, auch anzugeben, woraus Gott alles durch sein Wort gemacht hat, wenn es aus etwas gemacht worden wäre? Also was nicht vorhanden war, konnte die hl. Schrift nicht namhaft machen, und durch ihr Stillschweigen bewies sie, dass nichts der Art vorhanden war. Sie würde es namhaft gemacht haben, wenn es existiert hätte.
21. Also, nimm dich in Acht, ruft man mir zu. Wenn du auf den Umstand, dass nicht ausdrücklich berichtet wird, es sei etwas aus einer vorhandenen Materie erschaffen, den Schluss bauest, alles sei aus nichts geschaffen, so sieh dich vor, dass nicht die Gegenpartei behaupte, ebendarum sei alles aus der Materie erschaffen; denn es werde ebensowenig offen und unumwunden angegeben, dass irgend etwas aus nichts geschaffen worden sei. ---- Allerdings, es ist manchmal leicht, Retorsionen zu machen, aber dieselben sind nicht sofort als gleichberechtigt zuzulassen, wo eine Verschiedenheit in der Sache vorhanden ist. Ich behaupte nämlich, wenn die hl. Schrift es auch nicht offen ausgesprochen hat, es sei alles aus nichts, ebensowenig wie, es sei aus der Materie geschaffen worden, so war die Notwendigkeit, offen und deutlich auszusprechen, alles sei aus nichts geschaffen, lange nicht so gross, als sie sein würde, wäre alles aus der Materie geschaffen worden. Denn, was aus nichts entstanden ist, von dem wird eben dadurch, dass nicht gesagt ist, woraus es entstand, angezeigt, es sei aus nichts entstanden, und es kommt nicht in Gefahr, für etwas gehalten zu werden, was aus einem Stoffe gemacht ist, weil nicht angegeben wurde, woraus es gemacht ist. Umgekehrt aber, wenn bei dem, was aus etwas anderem entstanden ist, nicht bestimmt erklärt wird, dass es aus etwas entstanden sei, und nicht angegeben ist, woraus es entstanden sei, so kommt es erstens in Gefahr, für etwas gehalten zu werden, was aus nichts geschaffen ist; denn es ist nicht gesagt, |81 woraus es entstanden. Zweitens läuft es, wenn es so beschaffen ist, dass man sieht, es ist aus etwas anderem gemacht, Gefahr, ebenso in den Schein zu kommen, es sei aus etwas ganz anderem gemacht, als, woraus es wirklich gemacht ist; denn es wird nicht angedeutet, woraus es gemacht ist. Wenn Gott also nicht imstande war, alles aus nichts zu erschaffen, so hätte die Schrift auch nicht hinzugesetzt, er habe es aus nichts geschaffen. Dass er aus der Materie geschaffen habe, das hätte sie in jedem Falle sagen müssen, wenn er wirklich aus der Materie geschaffen hätte. 33) Denn ersteres hätte allgemein eingesehen werden müssen, auch wenn es nicht angedeutet wurde, letzteres aber wäre zweifelhaft geblieben, wenn es nicht angedeutet wurde.
22. So hat denn also der heilige Geist in der hl. Schrift die Methode festgehalten, wenn etwas aus etwas anderem geschaffen wird, zu berichten, was und woraus es geschaffen wird. "Es bringe hervor", sagt er, "die Erde Kraut und Gras, welches seinen Samen aussäet, jedes nach seiner Gattung und Ähnlichkeit, und fruchtbare Bäume, welche Frucht bringen, wovon der Samen in ihnen ist, nach ihrer Ähnlichkeit. Und es geschah also. Und die Erde brachte Kraut und Gras hervor, welches seinen Samen aussäet nach seiner Art, und fruchtbare Bäume, welche Frucht bringen, worin der Same ist nach ihrer Art." 34) Und wiederum heisst es: "Es sollen die Gewässer kriechende Tiere hervorbringen und Vögel sein, die da fliegen über die Erde am Firmamente des Himmels. Und es geschah also. Und es machte Gott grosse Seetiere, und alles Leben der kriechenden Tiere, welche das Gewässer hervorgebracht hatte, nach ihrer Art." Ebenso weiter unten: "Und Gott sprach: Die Erde soll lebende "Wesen hervorbringen nach ihrer Art, Vierfüssler, Reptilien, und die Tiere des Feldes nach ihrer Art." 35) Wenn also Gott, so oft er neue Gegenstände aus andern schon geschaffenen Dingen hervorbringt, es durch den Propheten kund gibt und sagt, was und woraus er es hervorgebracht hat ---- und doch könnten wir es uns recht gut denken, woraus ---- denn sie sind nicht aus nichts, und es gab bereits erschaffene Dinge, woraus sie hervorgegangen sein konnten, ---- wenn also der hl. Geist auf unsere Unterweisung eine solche Sorgfalt verwendete, dass wir erfahren, woher jedes kam, würde er uns dann nicht ebenso auch in betreff des Himmels und der Erde in Kenntnis gesetzt und uns angedeutet haben, woraus sie gemacht worden sind, wofern sie ihren Ursprung irgend einer Materie verdanken. Es musste um so mehr den Schein gewinnen, dass er sie aus nichts erschaffen |82 habe, da bis dahin noch nichts erschaffen worden war, woraus er sie hätte machen können. Mithin, so gut wie er bei den Dingen, die aus anderen hervorgebracht sind, angibt, aus welchen, so bestätiget er, wenn er es nicht angibt, dass sie aus nichts entstanden seien. "Also im Anfang schuf Gott Himmel und Erde." Ich bete die Vollständigkeit der hl. Schrift an, welche mich hier sowohl den Schöpfer kennen lehrt als das Geschaffene. Im Evangelium aber finde ich noch mehr, nämlich das Wort als Diener und Gehülfen des Schöpfers. Dass aber das All aus irgend einer untergeordneten Materie geschaffen sei, das habe ich nirgends gelesen. Das Atelier des Hermogenes möge uns darüber belehren, dass es in der Schrift stehe, Steht es nicht darin, so möge er das Wehe fürchten, welches denen zugerufen wurde, die etwas hinzufügen oder wegnehmen.36)
23. Er argumentiert aber weiter aus den folgenden Worten, wo es heisst: "Die Erde war unsichtbar und ungeordnet." 37) Denn auch den Ausdruck "Erde" führt unser Gegner auf die Materie zurück, weil es Erde sei, was aus der Materie gemacht wurde. Das "war" bezieht er darauf, sie sei früher immer dagewesen, ungeboren und unentstanden. "Unsichtbar und roh" aber heisse sie, weil die Materie ungestalt, wüst und ungeordnet gewesen sein soll. Diese seine Ansichten werde ich im einzelnen widerlegen, vorläufig aber will ich ihm so antworten: Wir halten dafür, dass in diesen Stellen eine Materie gelehrt werde. Aber deutet denn die Schrift an, es sei, weil sie vor allem existierte, auch etwas der Art aus ihr gemacht worden? Im Gegenteil, sie deutet nichts der Art an. Mag die Materie existiert haben, so lange es ihr oder vielmehr dem Hermogenes beliebt; so war es auch möglich, dass sie existierte und Gott doch nichts aus ihr schuf, schon darum, weil es sich nicht für Gott geziemte, irgend einer Sache benötigt zu sein, jedenfalls aber deshalb, weil nicht mitgeteilt wird, er habe irgend etwas aus der Materie geschaffen. Dann wäre ihre Existenz aber zwecklos gewesen, wendet man ein. Nein, noch lange nicht zwecklos. Denn wenn auch die Welt nicht aus ihr geschaffen wurde, so ist doch die Häresie aus ihr entstanden, und zwar ist sie um so unverschämter, als nicht die Häresie der Materie, sondern vielmehr letztere, die Materie, der Häresie ihre Entstehung verdankt.
24. Ich kehre nun zur Prüfung der einzelnen Stellen zurück, in welchen nach Hermogenes Ansicht die Materie gemeint sein soll, und werde zuerst hinsichtlich der Namen um Aufschluss bitten. Der eine davon, nämlich "Erde", steht da, den andern, Materie, finde ich nicht. Ich frage also, wie kann der Materie, da sich ihr Name in der hl. Schrift |83 nicht findet, die weitere Benennung Erde beigelegt werden, die doch für eine Substanz anderer Art bereits gäng und gehe ist? Der Name Materie hätte gerade deshalb umsomehr vorkommen müssen, weil sie das Prädikat Erde empfing, damit ich wisse, dass "Erde" eine mit "Materie" identische Bezeichnung sei, und damit ich erstere nicht für die Substanz aus-schliesslich in Anspruch nehme, der sie eigen und bei der sie gebräuchlicher ist, oder damit ich die Bezeichnung "Erde" nicht etwa für irgend eine andere Spezies und auch nicht bei jeder Materie unterschiedslos anwende, wo ich Lust hahe. Denn wenn es für ein Ding, welchem eine gemeinsame Bezeichnung beigelegt wird, keine eigene Benennung gibt, so wird sie jedem beliebigen andern beigelegt werden können, wenn nicht klar zutage tritt, welchen sie beigelegt werden soll. Wenn daher Hermogenes auch den Ausdruck "Materie" nachgewiesen hätte, dann hätte er noch beweisen müssen, dass sie auch den Beinamen "Erde" führe, und so ihr beide Namen vindizieren können.
25. Er behauptet also, in der hl. Schrift seien zwei Erden gegeben, die eine, welche Gott im Anfang schuf, und die andere, die Materie, aus der er schuf, von welcher es heisst: "Die Erde aber war unsichtbar und wüste." Wenn ich nun frage, welche von den beiden ist die, der man den Namen Erde beilegen muss, so wird er natürlich sagen: Die, welche geschaffen wurde, hat von jener, die als Stoff zum Schaffen diente, die Benennung entlehnt; denn es ist wahrscheinlicher, dass das Kind den Namen von der Mutter bekomme als umgekehrt. ---- Ist dem so, dann wirft sich uns eine andere Frage entgegen: Schickt es sich, dass die von Gott geschaffene Erde von jener, aus der er sie erschuf, ihren Namen entlehnte? Denn ich erfahre von Hermogenes und den andern Häretikern, die sich mit der Materie abgeben, dass jene erste Erde ungestaltet, unsichtbar und wüst gewesen sei, unsere jetzige dagegen sowohl Gestalt, als Ansehen und Schönheit von Gott erhalten habe, also etwas anderes geworden sei, als diejenige, woraus sie entstanden ist. Ist sie etwas anderes geworden, so darf sie nicht mit derjenigen, von deren Beschaffenheit sie sich entfernt hat, den gleichen Namen führen. Wenn Erde der jener Materie eigentümlich zukommende Name war, so kann sie, die anders geworden und also nicht mehr Materie ist, auch nicht den Namen Erde führen, da derselbe ein fremder und zu ihrem Wesen nicht gehörender ist. Allein die gewordene Materie, nämlich die Erde, hatte ja mit ihrem Ursprunge den gleichen Namen so wie die gleiche Art. ----Doch nicht! Ein Geschirr werde ich, wenn es auch aus Thon gemacht ist, doch nicht mehr Thon, sondern eben Geschirr nennen, und dem Elektrum, ist es gleich aus Gold und Silber zusammengesetzt, gehe ich doch weder den Namen Gold noch den Namen Silber, sondern eben Elektrum. Wenn |84 ein Ding ein anderes Aussehen annimmt, so gibt es in gleicher Weise den Namen des früheren auf, indem die Benennung sowie die Beschaffenheit zwei Sachen für sich sind. Wie weit aber die gegenwärtige Erde sich vom Zustande jener andern, d. h. der Materie, entfernte, wird schon dadurch klar, dass sie in der Genesis das Zeugnis "gut" bekommt, "und Gott sah, dass es gut war",38) jene erstere aber wird bei Hermogenes als der Ursprung und die Ursache alles Schlechten hingestellt. Endlich, wenn sie Erde ist, weil jene es auch ist, warum sollte die letztere nicht auch so gut wie die erstere Materie sein? Ja, noch mehr, sogar der Himmel und alle übrigen Dinge sollten, wenn sie aus der Materie bestehen, ebenfalls den Namen "Erden" und "Materien" führen. So viel genügt in betreff des Ausdrucks Erde, worunter Hermogenes die Materie verstanden wissen will, der aber allen als Name eines der Elemente bekannt ist, wie erstens die Natur, zweitens die hl. Schrift lehrt. Es müsste etwa sein, Silen, der nach dem Berichte des Theopompus vor dem Könige Midas die Existenz eines zweiten Erdkreises behauptete, verdiente Glauben. Allein bei ihm kommt eine Vielheit von Göttern vor.
26. Für uns aber gibt es nur einen Gott und eine Erde, welche Gott im Anfang schuf. Indem die hl. Schrift beginnt, den Verlauf dessen darzulegen, sagt sie an erster Stelle deren Erschaffung aus, sodann verbreitet sie sich über ihre Eigenschaften, wie sie auch zuerst die Erschaffung des Himmels ausspricht: "Im Anfang schuf Gott den Himmel", und sodann dessen Plan und Anlage hinzufügt. "Er machte einen Unterschied zwischen dem Wasser, welches unter, und dem, welches über dem Firmamente war, und Gott nannte das Firmament Himmel", 39) eben jenes, welches er im Anfang gemacht hat. Ebenso geschieht es in betreff des Menschen: "Und Gott schuf den Menschen, nach dem Bilde Gottes schuf er ihn." Sodann fügt sie bei, wie er ihn erschaffen hat. "Und Gott bildete den Menschen aus dem Lehm der Erde und hauchte in sein Angesicht den Odem des Lebens, und es wurde der Mensch zur lebenden Seele." 40) So muss man auch bei Erzählungen verfahren: erst eine Einleitung machen, dann die Sache ausführen; erst nennen, dann beschreiben. Das andere Verfahren wäre thöricht, von einer Sache, z. B. der Materie, von der man noch gar keine Erwähnung gethan, ja deren Namen man noch nicht einmal genannt hat, auf einmal Form und Aussehen beschreiben zu wollen, erst zu erzählen, wie sie ist, ehe man weiss, ob sie ist, ein Bild von dem Geformten vorzuzeigen, aber den Namen davon zu verschweigen. Wie viel glaubwürdiger hingegen steht das Verfahren in dieser Sache da nach unserer Auffassung, wonach die h. Schrift Plan und Anlage von dem |85 nachfolgen lässt, wovon sie vorher die Herstellung und den Namen mitgeteilt hat. Wie vollständig ist da Sinn und Zusammenhang! "Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde; die Erde aber war unsichtbar und wüst", diejenige wohlverstanden, die Gott gemacht und von welcher die hl. Schrift soeben gesprochen hatte. Denn auch das "aber" in: "die Erde aber" ist als Verbindungspartikel dem Bericht gleichsam zur Verbindung beigesetzt. Denn mit diesem Worte kehrt die Schrift wieder zu dem zurück, wovon sie gesprochen hatte, und stellt den Zusammenhang her. Nimm also erst das Wort "aber" von dort hinweg, dann ist der Zusammenhang gelöst und dann kann sich der Ausspruch: "die Erde aber war unsichtbar und wüst" auf eine andere Erde beziehen.
27. Doch Du ziehest mit entsprechender Handbewegung die Augenbrauen in die Höhe, wirfst Dich gleichsam zurück und sagst: "Erat, sie war" in einem Tone, als wenn sie immer gewesen wäre, nämlich als un-geschaffen und unentstanden, und als sei sie darum für die Materie zu halten. ---- Ich werde Dir dagegen ohne alle bestechende Betonung ganz einfach zur Antwort geben: "Es war", kann man von jedwedem Dinge sagen, auch von dem, was geworden, was gemacht ist, was einmal nicht existierte und was nicht Materie ist. Denn von allem, was eine Existenz hat, mag es sie haben, woher es will, von Anfang an oder ohne Anfang, von dem kann eben, weil es ist, auch gesagt werden: "Es war". Wenn bei einem Dinge die erste Form eines Zeitwortes wohlangebracht ist, um eine Erklärung darüber zu geben, so werden auch die Beugungsformen desselben Zeitwortes bei ihm am Platze sein, um seine Beziehungen auszudrücken, Est bildet die Grundform der Zeitbestimmung, erat die der fernern Beziehung. So steht es mit den Pfiffen und Schlichen der Häretiker; sie machen aus einfachen, allbekannten Wortformen gewaltsam eine Streitfrage. Es ist natürlich eine grosse Streitfrage, ob die Erde, da sie gemacht ist, auch "war". Zu untersuchen allerdings wäre es, ob ihr, da sie gemacht ist, oder dem, woraus sie gemacht ist, zustehe, unsichtbar und wüst gewesen zu sein. Dann würde das erat von dem gelten, was sie war.
28. Wir werden aber im Gegenteil nicht bloss beweisen, dass diese Erscheinungsweise der gegenwärtigen Erde angestanden habe, sondern auch, dass sie der vermeintlichen andern Erde nicht angestanden habe. Wenn die Materie so rein für sich Gott vorlag, d. h. ohne dass irgend ein Element im Wege stand ---- ausser ihr und Gott existierte ja noch nichts anderes, ---- so konnte sie gewiss nicht unsichtbar sein. Denn wenn Hermogenes auch behauptet, die Finsternisse hätten der Substanz der Materie angehaftet, ---- ein Punkt, auf den wir seiner Zeit noch antworten müssen, ---- so sind Finsternisse ja sogar für den Menschen |86 sichtbar ---- er sieht nämlich eben, dass es dunkel ist, ---- wie viel mehr noch für Gott. Wenn sie wirklich unsichtbar gewesen wäre, so hätte ihre Beschaffenheit gar nicht erkannt werden können. Woher hat also Hermogenes in Erfahrung gebracht, sie sei ungestaltet, verworren und ruhelos gewesen, da sie ja in Unsichtbarkeit verharrte? Sollte dies aber einen Gegenstand der göttlichen Offenbarung ausmachen, so muss er es beweisen. In ähnlicher Weise frage ich, ob sie wüst genannt werden kann? ----Wüst ist gewiss dasjenige, was unvollkommen ist. Unvollkommen kann aber gewiss nur das Erschaffene sein. Denn das, was bei seiner Erschaffung zu kurz gekommen ist, das ist eben unvollkommen. Ganz gewiss. Also, die Materie, die ja überhaupt gar nicht erschaffen worden ist, konnte nicht unvollkommen sein. War sie aber nicht unvollkommen, so war sie auch nicht wüst. Da sie, weil ungeschaffen, keinen Anfang hat, so war sie auch frei vom Mangel an Vollendung. Denn ein roher unvollendeter Zustand ist uns eine Beigabe des Gewordenen. Eine Erde dagegen, die geschaffen worden war, verdiente auch wüst genannt zu werden. Denn sobald sie geworden war, hatte sie, ehe sie vollkommen wurde, Raum für Unvollkommenheiten.
29. Denn Gott hatte alle seine Werke nach einer geordneten Methode vollendet, zuerst in den unfertigen Elementen gleichsam die Umrisse der Welt abgesteckt, und sodann mit deren Ausschmückung begonnen. Er hat das Licht nicht sofort mit dem Glanze der Sonne erfüllt, die Finsternis nicht sofort durch das erfreuende Mondlicht gemildert, den Himmel nicht sofort mit Sternen und Sternbildern gezeichnet, das Meer nicht sofort mit Ungetümen bevölkert, die Erde nicht sofort mit ihrer mannigfachen Fruchtbarkeit ausgerüstet, sondern ihr zuerst das Sein verliehen, sodann erst das "nicht umsonst sein" ihr zuerteilt. Denn so spricht Isaias: "Nicht umsonst hat er sie geschaffen, sondern damit sie bewohnt werde." 41) Nachdem sie also geschaffen war, sollte sie auch vollkommen werden; vorläufig war sie unsichtbar und roh; roh eben darum, weil sie unsichtbar war, nämlich einerseits nicht vollkommen genug für den Anblick und andererseits im übrigen noch nicht ausgebildet. Unsichtbar aber war sie, weil sie noch mit den Gewässern, gleichsam als einer schützenden Decke von Geburtsflüssigkeiten, umgeben war in der Weise, wie auch unser, unverwandter Leib ans Licht der Welt tritt. Auch David singt: "Des Herrn ist die Erde und ihre Fülle, der Erdkreis und alle, die ihn bewohnen; er hat ihn über den Meeren gegründet und über den Flüssen ihn bereitet." 42) |87
Nachdem nämlich die Gewässer abgesondert und in die Höhlungen und Buchten verbannt waren, trat das feste Land mehr hervor, das bis dahin von den Wassern bedeckt wurde. Von der Zeit an wird es sichtbar auf das Wort Gottes: "Es soll sich vereinigen das Wasser in einer Vereinigung und das Trockene zum Vorschein kommen." 43) Es soll zum Vorschein kommen, sagt er, nicht aber: Es werde; denn es war schon geworden; aber bis dahin unsichtbar, harrte es noch der Stunde, wo es zum Vorschein kommen würde als trockenes Land, was es erst werden sollte nach der Scheidung des Flüssigen; Erde jedoch war es schon. Und Gott nannte das Trockene Erde, nicht Materie. So erlangte sie denn später auch ihre Vollkommenheit und hörte auf, wüst zu sein, als Gott sprach: "Es bringe die Erde das Kraut des Feldes hervor, welches Samen trägt nach seiner Art und Gleichnis, und Fruchtbäume, welche Früchte tragen, worin ihr Same ist, nach ihrer Art." Ferner: "Es bringe die Erde hervor lebende Wesen nach ihrer Art, Vierfüsser, Gewürm und die wilden Tiere des Feldes nach ihrer Art."
So hat die göttliche Schrift ihre Ordnung vollständig zu Ende geführt. Da sie die Erde vorher als unsichtbar und wüst hingestellt hatte, legte sie ihr nachher Sichtbarkeit und Vollkommenheit bei. Die unsichtbare und wüste Materie war aber keine andere. Die Materie wird also nachher sichtbar und vollkommen. Ich verlange daher die Materie zu sehen, da sie sichtbar geworden ist. Ich verlange sie auch als vollkommen zu erkennen, um von ihr Kräuter und Fruchtbäume zu erhalten und ihre Tiere zu meinem Nutzen und Dienst zu gebrauchen. Materie ist nirgendwo, Erde aber ist da, d. h. vor mir. Diese sehe ich, sie geniesse ich, nachdem sie aufgehört hat, unsichtbar und roh zu sein. Von ihr sagt Isaias ganz verständlich: "So spricht der Herr, der den Himmel gemacht hat, jener Gott, der die Erde vorführte und sie geschaffen hat." 44) Er hat sicher keine andere Erde vorgeführt als die, welche er gemacht hatte. Wie hat er sie vorgeführt? Offenbar durch sein Wort: "Es möge das Trockene zum Vorschein kommen." Weshalb heisst er sie zum Vorschein kommen? Nur, weil sie vorher nicht erschien und um sie auch auf diese Weise nicht vergebens erschaffen zu haben, da er sie sichtbar und bewohnbar erschaffen hatte. So wird es von allen Seiten bestätigt, dass diese Erde, die wir bewohnen, von Gott geschaffen und vorgeführt worden sei, und dass die wüste und unsichtbare keine andere war als die, welche geschaffen und vorgeführt wurde. Somit bezieht sich der Ausspruch: "Die Erde aber war wüst und unsichtbar" auf die Erde, welche Gott mit dem Himmel abgesondert hatte. |88
30. In gleicher Weise scheinen auch die darauffolgenden Worte die Vermutungen des Hermogenes zu begünstigen, nämlich: "Es war Finsternis über dem Abgrunde und der Geist Gottes schwebte über den Gewässern"; das klingt, als ob diese verworrenen Substanzen Beweise für jene chaotische Masse lieferten. Allein da die Schrift jedes für sich bezeichnet: die Finsternis, den Abgrund, den Geist Gottes und die Gewässer, so lässt diese abweichende Aufzählung bestimmter und unterschiedener Elemente den Gedanken an etwas Verworrenes und durch seine Verworrenheit Unbestimmtes nicht aufkommen. Ja noch mehr, da sie ihnen eine besondere Lage zuschreibt, der Finsternis die über dem Abgrunde, dem Geist Gottes über den Gewässern, so leugnet sie damit die Vermengung der Substanzen und gibt mit deren besonderer Lage auch ihre gegenseitige Verschiedenheit an. Höchst thöricht wäre es daher, von der Materie, die als formlos hingestellt wird, trotz dieser vielen Namen von Formen, noch zu behaupten, sie sei formlos, ohne anzugeben, was denn eigentlich das Grundwesen der Verworrenheit sei, weil sie, als formlos, jedenfalls denn doch als eine einzige vorzustellen ist. Denn was ungeformt ist, das ist jedenfalls einförmig; ungeformt aber ist, was aus verschiedenen Dingen zusammengemengt ist. Das muss notwendig eine Besonderheit haben, was, indem es eine aus vielen Besonderheiten zusammengesetzte hat, keine Besonderheit besitzt. Im übrigen aber hatte die Materie entweder jene Besonderheiten an sich, unter deren Bezeichnungen sie zu erkennen sein sollte, ich meine: Finsternis, Abgrund, Geist und Wasser, oder nicht. Hatte sie sie an sich, wie kann man sie als formlos hinstellen; hatte sie sie nicht an sich, wie liesse sie sich erkennen?
31. Doch man wird auch noch zu der Ausflucht greifen, die hl. Schrift habe in betreff des Himmels und der Erde allein gemeldet, dass Gott sie von Anfang gemacht habe, von den oben genannten Besonderheiten aber nichts der Art gesagt; darum gehören sie, da von ihrer Erschaffung nichts gemeldet werde, zu der unerschaffenen Materie. Auch auf dieses Bedenken wollen wir antworten. Die hl. Schrift würde genug gesagt haben, wenn sie uns mit den hervorragendsten Schöpfungen Gottes bekannt gemacht hätte, mit Himmel und Erde; diese haben natürlich ihre besonderen Auszeichnungen, welche man aus den hervorragendsten Dingen hätte entnehmen können. Auszeichnungen derselben aber waren damals zuerst die Finsternis, der Abgrund, der Geist und die Gewässer. Unter der Erde befand sich nämlich der Abgrund und die Finsternis. Denn wenn sich der Abgrund unter der Erde, die Finsternis aber über dem Abgrunde befand, so lagen die Finsternis und der Abgrund ohne Zweifel unter der Erde. Unter dem Himmel aber waren der Geist und die Gewässer. Denn wenn sich die Gewässer über der Erde befanden, indem sie |89 letztere bedeckten, der Geist hingegen über den Gewässern, so lagen in gleicher Weise der Geist und die Gewässer über der Erde. Was sich aber über der Erde befand, das lag jedenfalls unter dem Himmel, und wie die Erde auf dem Abgrund und der Finsternis, so lagerte sich der Himmel auf dem Geiste und über den Gewässern und umspannte sie.
Es ist auch so ungewöhnlich nicht, bloss das Enthaltende namhaft zu machen, als die Summe des Ganzen, das Enthaltene aber als Teil davon mit darunter zu verstehen. Man sehe z. B., wenn ich sage, die Stadt erbaute ein Theater und einen Circus, die Bühne aber sah so und so aus, die Bildsäulen standen über dem Euripus und der Obelisk ragte über das Ganze empor, sollten dann nicht auch diese Teile samt dem Circus und dem Theater von der Stadt errichtet worden sein, trotzdem, dass ich es nicht gesagt habe? Oder habe ich die Angabe, auch diese Teile seien von ihr errichtet worden, nicht vielmehr deshalb unterlassen, weil sie in dem von ihr, wie gesagt, Errichteten stecken, und man entnehmen konnte, dass sie in ihnen stecken.
Doch mag dieses Beispiel als bloss menschlichem Treiben entnommen fortbleiben, ich will ein anderes aus der hl. Schrift selbst herausgreifen. "Gott schuf", heisst es, "den Menschen aus Erde und hauchte ihm ins Antlitz den Odem des Lebens und der Mensch wurde zur lebenden Seele." Hier erwähnt sie zwar seines Antlitzes, sagt aber nicht, dass es von Gott gemacht worden sei; nachher aber redet sie von seiner Haut, seinen Knochen, Fleisch, Augen, Schweiss und Blut, ohne damals gemeldet zu haben, diese Dinge seien von Gott gemacht. ---- Was wird Hermogenes darauf erwidern? Werden die Gliedmassen des Menschen vielleicht auch zur Materie gehören, da ihre Erschaffung nicht ausdrücklich berichtet wird? Oder gehören auch sie zur Hervorbringung des Menschen? In derselben Weise nun waren Abgrund, Finsternis, Geist und Gewässer gleichsam Gliedmassen des Himmels und der Erde. In den Körpern sind auch die Gliedmassen mit geschaffen, in den Körpern die Gliedmassen mit genannt. Jedes Element ist ein Glied des Elementes, worin es enthalten ist. Im Himmel und der Erde aber sind alle Elemente mitenthalten.
32. Das sei meine Antwort in betreff der hl. Schrift, insofern sie bloss die Hervorbringung der Gesamtkörper des Himmels und der Erde zu beweisen scheint. Sie wusste wohl, 45) dass es noch Leute gebe, die von selber in den Gesamtkörpern auch die einzelnen Glieder finden würden, und deshalb hat sie sich compendiarisch ausgedrückt. Sie hat sich aber auch gegen die Stumpfsinnigen und Hinterlistigen vorgesehen, die das stillschweigende Verständnis unterdrücken und ein Wort verlangen, welches die |90 Hervorbringung auch der Teile anzeige. Daher und um dieser Leute willen lehrt sie an andern Stellen die Erschaffung auch der einzelnen Teile. Da ist nun die Sophia, welche sagt: "Vor dem Abgrunde bin ich gezeugt", 46) damit Du glaubest, dass auch der Abgrund erzeugt sei, d. h. hervorgebracht, wie auch wir Söhne hervorbringen, nämlich durch Erzeugung. Es liegt kein Unterschied darin, ob der Abgrund erzeugt oder gemacht ist, in beiden Fällen wird ihm ein Anfang zugeschrieben, der ihm nicht würde zugeschrieben werden, wenn er zur Materie gehörte. Hinsichtlich der Finsternis aber sagt der Herr selbst durch den Mund des Isaias: "Ich habe das Licht und die Finsternis gemacht." 47) Vom Geiste sagt ähnlich Arnos: "Er macht den Donner stark, bildet den Geist und kündigt den Menschen seinen Gesalbten an", 48) womit er die Erschaffung desjenigen Geistes verkündete, der zur Erschaffung der Erde bestimmt wurde, der über den Gewässern schwebte, der Abwäger, Anhaucher und Beseeler des Weltall ist. Aber es wird nicht, wie einige meinen, mit jenen Worten angedeutet, Gott selbst sei dieser Geist, da Gott ein Geist ist. Denn die Gewässer würden nicht imstande gewesen sein, Gott zu tragen, sondern es ist derjenige Geist gemeint, woraus auch die Winde bestehen, wie es bei Isaias heisst: "Der Odem ist von mir ausgegangen und jeglichen Hauch habe ich gemacht." 49) Ebenso sagt dieselbe Sophia in betreff der Gewässer: "Da er die Quellen feststellte, die unter dem Himmel sind, war ich bei ihm, sie mit ihm abwägend." 50)
Wenn wir also beweisen, däss die genannten einzelnen Teile auch von Gott hervorgebracht seien, wenngleich sie in der Genesis nur namhaft gemacht werden ohne Erwähnung ihrer Hervorbringung, so wird uns die Gegenpartei vielleicht zur Antwort geben, sie sind allerdings geschaffen, aber aus der Materie, so dass in der Stelle bei Moses; "Finsternis war über dem Abgrunde und der Geist Gottes schwebte über den Gewässern" von der Materie die Rede ist, während die übrigen Schriftstellen die Teile einzeln angeben, welche aus der Materie gemacht wurden. Sowie also die Erde aus der Erde entstanden ist, so der Abgrund aus dem Abgrund, die Finsternis aus der Finsternis, der Geist und die Gewässer aus dem Geiste und den Gewässern. Und, wie oben gesagt, die Materie konnte nicht formlos sein, wenn sie Teile hatte, so dass auch die andern aus ihr entstanden; es müsste denn sein, dass es nicht andere wären, sondern dieselben aus sich selbst. Es ist nämlich nicht möglich, dass sie verschieden waren, da sie mit demselben Namen benannt werden; denn sonst könnte das Wirken Gottes als ein. müssiges erscheinen, wenn es Dinge schuf, die schon waren, da eine Erzeugung nur dann vorgelegen hätte, wenn Dinge |91 erschaffen wurden, die noch nicht waren. Also, um zum Schluss zu kommen, entweder hat Moses die Materie gemeint, als er die Worte niederschrieb: "Finsternis war über dem Abgrunde und der Geist Gottes schwebte über den Gewässern", ---- dann aber hätte, da an andern Stellen die Erschaffung dieser Teile durch Gott gelehrt wird, ebenfalls angegeben werden müssen, sie seien aus der früher von Moses besprochenen Materie gebildet worden, ---- oder, wenn Moses jene Teile und nicht die Materie gemeint hat, dann frage ich, wo steht denn etwas von der Materie?
33. Wenn Hermogenes sie aber etwa in seinen Farbentöpfen gefunden haben sollte ---- denn in der hl. Schrift kann er sie nicht gefunden haben, ---- dann genügt die Thatsache, dass Gott alles geschaffen hat, und es andererseits nicht feststeht, dass er es aus der Materie erschaffen hat. Auch wenn letztere existiert hätte, würden wir sie als von Gott geschaffen ansehen, da wir als unanfechtbare Einrede den Satz aufrecht erhalten würden, dass nichts unerschaffen sei ausser Gott. Gegen diesen Satz kann man immerhin noch so lange Bedenken haben, bis das Dasein der Materie, an der Hand der Schrift geprüft, dahin schwindet. Die Hauptsache lässt sich bequem in den Worten zusammenfassen: Ich finde nur Dinge, die aus nichts geschaffen sind, weil ich erkenne, dass alle geschaffenen Dinge, die ich sehe, früher nicht da waren. Auch wenn etwas aus etwas anderem erschaffen wurde, so hat es seinen Ursprung aus etwas Geschaffenem; z. B. die Pflanzen, das Vieh und das Menschengebilde selbst gingen aus der Erde, die schwimmenden und fliegenden Tiere aus dem Wasser hervor. Solche Ursprünge von andern aus ihnen gemachten Dingen dürfte man allenfalls Materien nennen, aber von Gott erschaffene.
34. Dafür, dass alles aus nichts entstanden ist, dürfte übrigens noch jene letzte Anordnung Gottes sprechen, wonach alles wieder ins Nichts zurückkehrt. "Der Himmel wird nämlich aufgerollt werden, wie ein Buch", 51) ja er wird sogar samt der Erde, mit welcher er im Anbeginn geschaffen wurde, nirgends mehr vorhanden sein. "Himmel und Erde werden vergehen", 52) heisst es, "der erste Himmel und die erste Erde sind dahin und ihre Stelle wurde nicht mehr gefunden." 53) Denn was ein Ende nimmt verliert natürlich seine Stelle. So sagt auch David: "Die Werke deiner Hände, die Himmel, auch sie werden vergehen." 54) Denn wenn er sie umändern wird wie eine Decke und wenn sie verändert werden, dann heisst doch sich verändern den vorigen Zustand einbüssen; büsssen sie denselben ein, so verändern sie sich. "Die Sterne werden vom Himmel fallen, |92 wie der Feigenbaum, wenn er von starkem Winde geschüttelt wird, seine herben Beeren verliert." 55) "Die Berge aber werden wie Wachs schmelzen vor dem Angesichte des Herrn, wenn er sich erhebt, um die Erde zu zertrümmern." 56) "Auch die Sümpfe", heisst es, "werde ich austrocknen, sie werden nach Wasser suchen und es nicht linden und auch das Meer ist gewesen." 57) Wenn auch der eine oder der andere diese Stellen geistig erklären zu müssen glaubt, so wird er doch nicht imstande sein, die Realität der Dinge zu beseitigen, die so geschehen werden, wie geschrieben steht. Denn Vorbilder, wenn es solche gibt, müssen in wirklichen Dingen bestehen, nicht in nicht existierenden, weil zu einem Vergleiche nichts brauchbar sein kann, was nicht selbst die Eigenschaft besitzt, die zu einem solchen Vergleiche dient. Ich kehre nun zur Sache zurück, welche in dem Satze besteht, alles, was zu nichts werden wird, ist auch aus nichts hervorgegangen. Denn aus etwas Ewigem würde Gott Vergängliches nicht gemacht und Kleines nicht aus Grossem erschaffen haben, da es ihm eher zustände, aus Kleinem Grosses zu machen, d. h. aus Vergänglichem Ewiges. Das verheisst er dann auch unserem Leibe, und von dieser seiner Kraft und Macht wollte er uns schon jetzt ein Unterpfand gewähren, damit wir glauben sollten, dass er auch das Universum, das als nicht existierend gleichsam tot war, zum Sein erweckt habe.
35. Wenn ich nun auch über den sonstigen Zustand der Materie hier nicht im einzelnen zu handeln brauche, ---- denn erst musste ihre Existenz feststehen, ---- so müssen wir doch, als wäre ihre Existenz bewiesen, die Sache ordnungsmässig zu Ende führen, damit ihre Nichtexistenz noch mehr gesichert erscheine, da nicht einmal über ihren sonstigen Zustand etwas feststeht, und damit Hermogenes zugleich seine eigenen Widersprüche erkenne. "Auf den ersten Anblick", sagt er, "scheint uns die Materie unkörperlich zu sein, wenn man aber der Sache recht auf den Grund geht, so zeigt sich, dass sie weder körperlich noch unkörperlich ist." Ein schönes auf den rechten Grund gehen, das nichts Rechtes, d. h. nichts Gewisses zum Resultat hat. Irre ich mich nicht sehr, so muss jedes Ding entweder körperlich oder unkörperlich sein; ---- ich will nämlich einstweilen, aber nur hinsichtlich der Substanzen, einräumen, dass es unkörperliche Dinge gebe, obwohl die Substanz einer jeden Sache ein Körper ist ---- so ist doch gewiss, dass es etwas drittes ausser dem Körperlichen und Unkörperlichen nicht gibt. Aber gut angenommen, es gebe noch ein drittes, welches durch die rechte Gründlichkeit des Hermogenes entdeckt worden ist und welches die Materie zu etwas nicht Körperlichem und nicht Unkörperlichem macht, wo ist es? wie ist es? wie heisst es? wie lässt es sich beschreiben? wie wird es |93 erkannt? Seine Gründlichkeit hat darüber nichts weiter herausgebracht als: die Materie ist weder körperlich noch unkörperlich.
36. Aber siehe da, nun tischt er uns ganz das Gegenteil auf, oder es ist vielleicht eine Gründlichkeit anderer Art in ihn gefahren und er meldet, die Materie sei zum Teil körperlich, zum Teil unkörperlich. So ist denn jetzt also die Materie, damit sie nicht keins von beiden sei, für beides zu halten. Denn, sie wird körperlich und unkörperlich sein, ganz gegen die Angabe jener ersten Gründlichkeit, 58) die auch für ihre Ansicht keine Rechenschaft gibt, so wenig wie die andere. Körperlich soll an der Materie das sein, woraus die Körper entstehen, unkörperlich aber ihre ungeschaffene Bewegung. "Wofern nämlich", sagt Hermogenes, "die Materie bloss Körper wäre, so würde an ihr nichs unkörperliches zutagetreten, folglich nicht die Bewegung; wenn sie aber vollständig unkörperlich wäre, so würde kein Körper aus ihr entstehen können." Um wie viel grösser ist doch die Gründlichkeit dieses Grundes. Hermogenes, wenn die Umrisse, die Du zeichnest, nicht richtiger sind als Deine Schlüsse, so gibt es keinen stümperhafteren Malerais Dich! Wer erlaubt Dir denn, die Bewegung der zweiten Hälfte der Substanz zuzuweisen, da sie nichts Substanzielles, weil nichts Körperliches ist, sondern höchstens ein Accidens der Substanz oder des Körpers, wie das Thun, Schlagen, Sinken, Fallen u. s. w.? Denn wenn sich ein Ding bewegt, meinetwegen auch von sich selber, so ist seine Bewegung eine Thätigkeit, aber sicher kein Bestandteil seines Wesens in der Art, wie Du die Bewegung zum unkörperlichen Bestandteile der Materie machst. Alles bewegt sich entweder durch sich selbst, wie die lebenden Wesen, oder wird durch etwas anderes bewegt, wie die unbeseelten Wesen, und doch werden wir weder den Menschen noch den Stein körperlich und unkörperlich nennen, obwohl beide Körper und Bewegung haben, sondern wir legen allem bloss die Körperlichkeit, welche Sache der Substanz ist, bei als einzige Form, und wenn Unkörperliches daran vorhanden ist, Handlungen, Leiden, Verrichtungen oder Begierden, so halten wir diese nicht etwa für Bestandteile davon. Wozu nützt es also, die Bewegung zu einem Bestandteile der Materie zu machen, da sie gar nicht zur Substanz der Materie gehört, sondern nur zu deren äusserer Erscheinung? Wenn es Dir nun gefallen hätte, die Materie als unbeweglich hinzustellen wie dann? Dann wäre wohl die Unbeweglichkeit ihr zweiter Bestandteil? Ebensowenig wie sie ist es die Beweglichkeit. Doch über diese werden wir noch an einer andern Stelle sprechen dürfen. 59)
37. Jetzt kehrst Du, wie ich merke, wieder zu der ersten Gründlichkeit zurück, welche die Gewohnheit hat, Dir kein sicheres Resultat zu liefern. |94 In derselben Weise nämlich, wie Du die Materie als weder gut noch schlecht hinstellst, bringst Du nun vor, sie sei weder gut noch schlecht, und sophistisierst demgemäss: "Wenn sie gut wäre, so würde sie, da sie dies beständig gewesen ist, nicht nach der ordnenden Hand Gottes verlangen; wäre sie aber von Natur aus schlecht, so würde sie sich die Überführung in einen bessern Zustand nicht gefallen lassen, und Gott würde bei solcher Beschaffenheit ihr von seiner Ordnung nichts beibringen können; er hätte sich vergeblich angestrengt." Das sind Deine Worte, deren Du Dich an einer andern Stelle hättest erinnern sollen, um nicht ganz entgegengesetzte Dinge zu behaupten. Allein da wir über die zweifelhafte Stellung des Guten und Bösen betreffs der Materie früher gehandelt haben, 60) so will ich auf Deine vorliegende und alleinige Proposition und Beweisführung antworten. Auch hier will ich nicht geltend machen, dass Du eine bestimmte Behauptung hättest aussprechen müssen, entweder dass sie gut, oder dass sie schlecht, oder sonst etwas drittes sei; aber Du bist auch nicht einmal der Behauptung treu geblieben, die Du aufzustellen beliebt hattest. Du stössest nämlich wieder um, was Du aufgestellt hast, dass sie weder gut noch schlecht sei, indem Du sagst: "Wenn sie gut wäre, so würde sie nicht verlangen, von Gott geordnet zu werden." Damit verrätst Du, dass sie schlecht sei; und wenn Du hinzufügst: "Wenn sie von Natur schlecht wäre, so würde sie sich keine Verbesserung gefallen lassen", so verrätst Du damit, dass sie gut ist. Somit hast Du sie zu etwas gemacht, was an das Gute und an das Schlechte angrenzt, indem Du sie weder für gut noch für schlecht ausgibst. Um aber die Beweisführung, womit Du Deinen Satz stützen zu können meintest, umzustürzen, halte ich Dir noch dies entgegen: War die Materie immer gut, warum hätte sie nicht verlangen sollen, noch besser zu werden? Jedes gute Wesen verlangt nach Fortgang im Guten, wünscht ihn und lässt ihn sich gefallen, um vom Guten zum Bessern zu gelangen. Umgekehrt, war ihre Natur schlecht, warum konnte sie nicht von Gott, als dem Stärkern, der auch Steine zu Kindern Abrahams umzuwandeln vermag, umgewandelt werden? Also Du stellst Gott nicht bloss mit der Materie zusammen, sondern sogar unter sie, da er nicht imstande gewesen sein soll, die Naturbeschaffenheit der Materie zu überwinden und sie mit Gewalt besser zu machen. Hier soll nun die Materie nicht von Natur schlecht sein, aber wirst Du leugnen können, dass Du an andern Stellen dies eingeräumt hast?
38. Hinsichtlich der Lage der Materie lehre ich wie über ihre Bewegung, 61) um deine verkehrten Ansichten zu beschämen. Du lassest die Materie unterhalb Gottes gelegen sein und gibst ihr den unterhalb |95 Gottes befindlichen Raum. Folglich befindet sich die Materie an einem Orte. Befindet sie sich an einem Orte, so ist sie auch in denselben eingeschlossen; ist sie in denselben eingeschlossen, so wird sie von ihm begrenzt; wird sie von ihm begrenzt, so hat sie eine Grenzlinie; die Grenzlinie aber bildet ---- da Du eigentlich Maler bist, musst Du dies einsehen ----jedesmal das Ende des Gegenstandes, dessen Grenzlinie sie ist. Die Materie wäre also nicht unendlich; denn da sie sich an einem Orte befindet, so wird sie von ihm begrenzt, und da sie von ihm begrenzt wird, so hat er einen Endpunkt. Indessen Du machst sie zu etwas Unendlichem und sagst: "Unendlich aber ist sie dadurch, dass sie immer existiert." Und wenn einer von Deinen Schülern daran deuteln wollte, so willst Du es so verstanden haben, sie sei der Zeit nach unendlich, nicht nach Art eines Körpers. Allein, dass sie weil ihrem Körper nach unermesslich und in räumlicher Weise unbegrenzt unendlich sein soll, das beweisen die folgenden Worte. "Darum wird sie", sagst Du, "nicht in ihrer Ganzheit, sondern nur ihren Teilen nach verfertigt." Folglich ist sie dem Räume nach unendlich, nicht der Zeit nach. Du bist also dessen überführt, sie zu etwas räumlich Unendlichem gemacht zu haben; denn Du weisest ihr einen Platz an und schliessest sie in diesen Platz und dessen äusserste Grenzlinien ein. Weshalb Gott sie aber nicht in ihrer Gesamtheit gebildet haben sollte, sehe ich nicht ein; es müsste denn sein, dass er zu schwach dazu oder unlustig war. Ich frage also, wo ist die andere Hälfte des Dinges, welches nicht ganz hergestellt wurde, um zu erfahren, wie sie in ihrer Vollständigkeit aussieht. Denn Gott hätte sie entsprechend den Vorgängen in alter Zeit zur Ehre seines Wirkens offenbar machen müssen.
39. Mag sie jetzt nun infolge ihrer Veränderungen und Umwandlungen, wie es Deine richtigere Ansicht ist, bei einem endgültigen Zustande angekommen sein, mag sie auch, da sie von Gott, wie Du sagst, verfertigt wird, begreifbar sein, weil sie auch veränderlich, dem Wechsel unterworfen und teilbar ist. "Ihre Veränderungen," lauten Deine Worte, "sind der Beweis ihrer Teilbarkeit." Auch hier bist Du wieder von Deiner Richtschnur abgegangen, deren Du Dich in betreff der Person Gottes bedient hast, als Du den Grundsatz aufstelltest, er habe sie nicht aus sich erschaffen, weil er nicht in Teile auseinandergehen haben könne, sondern ewig, immer bleibend und darum auch unveränderlich und unteilbar sei. Gilt nun die Materie auch als ewig, weil ohne Anfang und ohne Ende, so kann sie aus demselben Grunde wie Gott auch keine Teilung und Veränderung erfahren. Als seine Genossin im ewigen Sein müsste sie mit ihm auch notwendig an den Eigenschaften, Gesetzen und Bedingungen des ewigen Seins teilnehmen. Ebenso verhält es sich mit Deinem Satze: "Ihre Teile haben gleichzeitig alles aus allem, so dass aus den Teilen das Ganze |96 erkannt wird". Damit meinst Du nämlich jedenfalls die Teile, welche aus ihr hervorgegangen sind und welche wir jetzt vor uns sehen. Wie können folglich die Teile alles aus allem haben, da sie doch aus den vorigen Teilen entstanden sind, und diejenigen, welche wir jetzt vor uns sehen, anders sind als die früheren?
40. Du behauptest ferner, die Materie sei zum Bessern, natürlich aus einem vorher schlechtem Zustande, weitergebildet worden, und lehrst, das Bessere trage das Bild des Schlechtem noch an sich. Früher war sie etwas Ungeordnetes, jetzt aber ist sie wohlgeordnet, und ihr geordneter Zustand soll uns, lehrst Du, ein Bild von dem ungeordneten geben. Kein Ding aber bekommt im Spiegel ein anderes Aussehen, d. h. ein ungleiches. Noch niemand hat beim Friseur im Spiegel statt seiner einen Esel erblickt, es müsste denn jemand gewesen sein, der meinte, im Bau dieser Welt entspreche der geordneten und harmonischen Materie eine ungeordnete und wüste. Was gibt es denn jetzt Formloses in der Welt und was gab es früher Wohlgeformtes an der Materie, so dass die Welt ein Spiegelbild der Materie abgeben könnte? Wenn das griechische Wort für Welt gleichbedeutend ist mit Schmuck, wie kann die Welt das Bild der unausgeschmückten Materie an sich tragen und wie kannst du berechtigt sein, zu sagen, man könne sie als Ganzes aus den Teilen erkennen? Sicherlich müsste zu dieser Ganzheit doch auch jener Teil gehören, der der Verunstaltung nicht verfallen ist. Oben aber hattest Du angegeben, sie sei nicht als Ganzes auf einmal hergerichtet worden. Folglich kann man diesen roh, verworren und wüst gebliebenen Teil an den ausgeschmückten, unterschiedenen und wohlgeordneten Teilen nicht wieder herauserkennen. Auf letztere passt die Benennung "Teile der Materie" nicht einmal, da sie infolge der geschehenen Veränderung von deren hergebrachter Form losgetrennt und abgewichen sind.
41. Ich komme nun auf die Bewegung zurück, um zu zeigen, wie es bei Dir überall wackelt. "Die Bewegung der Materie war ungeordnet, verworren und wirre." Als Gleichnis dafür hältst Du uns das Bild des auf allen Seiten überlaufenden siedenden Topfes entgegen. Wie anders lauteten doch anderwärts Deine Aufschlüsse über sie! Willst Du die Materie als nicht gut und nicht schlecht hinstellen, so sagst Du: "Also ---- die Materie liegt unterhalb, und da sie eine Bewegung von gleichmässiger Schnellkraft hat, so neigt sie sich weder sehr zum Guten noch zum Bösen." Wenn die Bewegung gleichmässige Schnellkraft hat, so ist dieselbe auch nicht stürmisch und brodelnd, sondern geordnet und gemässigt, nämlich eine solche, die, nach ihrer freien Wahl sich zwischen dem Guten und Schlechten haltend, sich jedoch nach keiner Seite vorwiegend neigend, mit |97 gleichmassig ausschlagendem Wagebalken, wie das Sprüchwort sagt, sich schaukelt. Das, wirst Du sagen, ist nicht Unruhe, Aufgeregtheit, unstetes Wesen, sondern Mässigung, wohlgeordnetes Wesen und die richtige Haltung einer Bewegung, die sich nach keiner Seite überneigt. Ganz sicher; wenn sie einen Hang mehr hierhin und dahin oder nach einer Seite hätte, so würde sie den Vorwurf der Unordnung, Ungleichmässigkeit und Unruhe verdienen. Wenn die Bewegung weder zum Guten noch zum Schlechten eine stärkere Neigung zeigte, so hielt sie sich offenbar zwischen dem Guten und dem Bösen. Mithin scheint die Materie auch dadurch bestimmbar zu sein, indem ihre Bewegung, die, weil sie sich zu keinem neigte, weder zum Bösen noch zum Schlechten Zug hatte, zwischen beiden von beiden abhing und darum durch beide ihre nähere Bestimmung erhielt. Aber indem Du vorgibst, die Bewegung der Materie habe sich zu keinem von beiden hingeneigt, versetzest Du Gut und Schlecht an einen bestimmten Ort. Denn wenn die Materie, die sich an einem bestimmten Ort befand, sich weder hierhin noch dorthin neigte, so neigte sie sich eben nicht zu den Orten, wo das Gute und das Böse sich befanden. Indem Du nun dem Guten und Bösen einen Raum anweisest, machst Du sie zu etwas räumlichem und damit zu etwas körperlichem, weil man, um einen Raum einzunehmen, vorerst von körperlicher Beschaffenheit sein muss. Denn unkörperliche. Dinge würden keinen eigenen Ort, haben, es sei denn an einem Körper, insofern sie zu einem Körper hinzutreten. Neigte sich die Materie weder zum Bösen noch zum Guten, so geschah es, weil diese Dinge nicht körperlich sind.
Folglich irrst Du Dich, wenn Du behauptest, das Gute und das Böse seien Substanzen. Denn zu Substanzen macht man alle Dinge, denen man einen bestimmten Raum anweist. Du weisest ihnen aber einen Raum an, wenn Du die Bewegung der Materie an diesen beiden Regionen hängen lassest.
42. Alles hast Du auseinander gerissen, damit nicht ----- bei näherem Zusehen ---- hervortrete, wie sehr sich bei Dir alles widerspricht. Ich werde die einzelnen Sätze zusammensuchen und in Vergleich stellen. Du behauptest, die Bewegung der Materie sei ungeordnet, und fügst hinzu, sie strebe der Formlosigkeit zu; später an andern Stellen sagst Du, sie wünsche von Gott geordnet zu werden. Was der Formlosigkeit zustrebt, wünscht das geformt zu werden? Oder strebt der Formlosigkeit zu, was geformt zu werden wünscht? Es soll nicht den Anschein haben, als stehe Gott der Materie gleich, und doch lässest Du einfliessen, sie habe Gemeinschaft mit ihm. Dann behauptest Du, "es sei unmöglich, dass etwas, was mit Gott nichts gemein hat, von ihm könnte verschönert werden". Nein, umgekehrt, wenn sie mit Gott etwas gemein hatte, so brauchte sie nicht zu |98 wünschen, von ihm verschönert zu werden, da sie infolge ihrer Gemeinschaft ein Teil von Gott war. Oder aber, auch Gott hätte können von der Materie verschönert werden, da er selber ja auch etwas mit ihr gemein hatte, und Du bringst Gott auch in diesem Punkte in Abhängigkeit von einem Bedürfnisse, wenn sich in der Materie eine Veranlassung fand, weshalb er sie ordnete. Als beiden Gemeinsames aber stellst Du hin, dass sie sich beide von selbst bewegen und stets in Bewegung seien. Damit aber legst Du der Materie gerade so viel bei als Gott. In der freiwilligen und ewigen Bewegung würde eine vollständige Anteilnahme am göttlichen Wesen bestellen. Aber Gott soll sich in geordneter, die Materie dagegen in ungeordneter Weise bewegen. Trotzdem wäre sie gerade so göttlich infolge ihrer gerade so freien und ewigen Bewegung. Ja, noch mehr, Du gestehst der Materie noch mehr zu als Gott, nämlich dass sie sich in einer Weise bewegen durfte, wie es Gott nicht durfte.
43. Hinsichtlich der Bewegung möchte ich noch eine Bemerkung machen. Entsprechend dem Gleichnis vom siedenden Topfe ---- sagst Du nämlich, "die Bewegung der Materie war, bevor sie geordnet wurde, verworren, unruhig und im fassbar wegen des zu grossen Kampfes". Danach bemerkst Du: "Sie stand aber still, um sich von Gott ordnen zu lassen, und ihre ungeordnete Bewegung war unmerklich wegen ihrer Langsamkeit." Oben schreibst Du der Bewegung etwas Stürmisches, eine Art Kampf zu, hier Langsamkeit. Lass Dir doch sagen, wie vielmal Du von der Natur der Materie abkommst! Oben sagst du: "Wenn die Materie von Natur schlecht wäre, so hätte sie sich die Umbildung zum Bessern nicht gefallen lassen und Gott ihr keine Ordnung beigebracht; er hätte sich vergeblich bemüht." Damit hast du zwei Behauptungen ausgesprochen: 1) die Materie sei nicht von Natur schlecht, 2) ihre Natur hätte auch von Gott nicht können geändert werden. Dies ganz vergessend stellst Du nachher den Satz auf: "Sobald sie aber von Gott ihre Ordnung und ihren Schmuck empfing, entsagte sie ihrer Natur." Wenn sie zum Bessern herangebildet wurde, so war sie offenbar vorher schlechter, und wenn sie infolge der ordnenden Thätigkeit Gottes ihrer von Natur aus schlechten Beschaffenheit entsagte, dann entsagte sie folglich ihrer Natur, war vor dem Eintritt der Ordnung von Natur aus schlecht und vermochte nach ihrer Verbesserung ihre Natur aufzugeben.
44. Es wäre nun an der Zeit, auch die Art und Weise darzulegen, wie Du Dir Gottes Wirksamkeit denkst. Du entfernst Dich dabei allerdings von den Philosophen, aber auch von den Propheten. Denn die Stoiker lehren, Gott sei durch die Materie durchgegangen wie der Honig durch die Waben. Du aber sagst: "Nein, nicht hindurchgehend schuf er die Welt, |99 sondern durch seine blosse Erscheinung und Annäherung an sie; auch der Magnetstein nähert sich bloss." Aber was für eine Ähnlichkeit besteht zwischen dem weltbildenden Gott und der das Herz verwundenden Schönheit oder dem das Eisen anziehenden Magnet? Gesetzt auch, Gott habe sich der Welt genähert, so hat er sie doch nicht, verwundet, wie die Schönheit das Herz; und hat er sich ihr genähert, so hing er doch nicht mit ihr zusammen, wie der Magnet mit dem Eisen. Doch bleibe bei deinem Glauben, deine Beispiele seien zutreffend. Wenn Gott wirklich die Welt dadurch schuf, dass er der Materie erschien und sich ihr näherte, so hat er sie jedenfalls erst von dem Augenblick an geschaffen, wo er ihr erschien und sich ihr näherte. Mithin, weil er sie nicht früher geschaffen hat, so hatte er sich ihr auch noch nicht genähert und war ihr noch nicht erschienen.
Wer wird es aber glaublich finden, dass Gott der Materie noch nicht erschienen sei, die in gewisser Beziehung sogar mit ihm von gleichem Wesen war infolge ihres ewigen Seins? dass er ihr ferngeblieben sei, er, der, wie wir glauben, überall ist und überall erscheint und dem nach Daniel auch die leblosen und körperlosen Dinge lobsingen? 62) Wie gross ist jener Raum, um welchen Gott von der Materie fern blieb, dass er ihn nicht zu erscheinen und näherzutreten vermochte vor der Weltschöpfung? Vermutlich ist er, als er ihr erscheinen und nähertreten wollte erst aus weiter Ferne zu ihr hingewandert.
45. Die Propheten und Apostel dagegen lehren nicht, dass die Welt in dieser Weise von Gott erschaffen sei durch sein blosses Erscheinen und Nähertreten, schon weil bei ihnen der Name Materie gar nicht einmal vorkommt, sondern zuerst sei die Sophia, der Anfang der Wege zu seinen Werken geschaffen und sodann das Wort hervorgebracht worden, durch welches alles und ohne das nicht erschaffen worden ist. 63) Denn durch sein Wort sind die Himmel gefestigt und durch seinen Odem alle Kräfte des Erdkreises. 64) Dieses ist die Rechte Gottes, dieses sind seine beiden Hände, 65) mit welchen er wirkte und schuf. "Die Himmel", heisst es, "sind das Werk deiner Hände", 66) mit welchen er auch den Himmel mass und mit seiner Spanne die Erde. 67) Wolle also doch Gott dergleichen Schmeicheleien nicht sagen, als habe er durch seinen blossen Blick und seine blosse Annäherung so viele und so grosse Wesen hervorgebracht, nicht aber durch seine ihm eigenen Kräfte sie hergestellt. Letzteres legt auch Jeremias nahe mit den Worten: "Gott, der die Erde schuf in seiner Macht und den Erdkreis bereitete in seiner Weisheit, er breitete die Himmel aus in seinem |100 Sinn." 68) Das sind die Kräfte, auf welche gestützt er dieses Weltall schuf. Grösser erscheint sein Ruhm, wenn er Arbeit damit hatte. Daher ruhte er denn auch am siebenten Tage von seinen Werken aus. Beides nach seiner Art. Oder aber, wenn er durch seine blosse Erscheinung und Annäherung diese Welt erschuf, dann ist er, da er zu schaffen aufhörte, wohl nicht mehr erschienen und hat sich ihr nicht mehr genähert? Im Gegenteil, nach Erschaffung der Welt fing Gott an, noch mehr zu erscheinen und war überall anzutreffen. Du siehst folglich, wie das Weltall gerade durch das Wirken Gottes besteht, durch die Macht des Schöpfers der Erde, durch die Weisheit dessen, der den Erdkreis bildete, durch den Sinn, der den Himmel ausbreitete, indem er sich nicht bloss sehen lässt und sich nähert, sondern alle diese Kräfte seines Geistes in Thätigkeit setzt, die Sophia, die Stärke, den Sinn, das Wort, den Geist und die Macht. Das hätte er alles nicht nötig gehabt, wenn er durch blosses Erscheinen und Annähern gewirkt hätte. 69) Aber dies ist gerade "das Unsichtbare an Gott", was nach der Lehre des Apostels seit der Erschaffung der Welt aus seinen Werken erkannt wird, 70) nicht irgend eine unbekannte Materie, sondern sein eigenes geistiges Vermögen. "Denn wer hat den Sinn des Herrn erkannt", wovon der Apostel ausruft: "O Tiefe des Reichtums und der Weisheit, wie unerforschlich sind seine Gerichte und wie unergründlich seine Wege!" 71) Was können diese Worte anders bedeuten, als dass alle Dinge aus nichts geschaffen sind?! Sie konnten nur durch Gott allein aufgefunden und erforscht werden; andernfalls, wenn sie nämlich aus der Materie ergründet und erforscht werden müssen, würden sie unergründbar geblieben sein.
So fest es also steht, dass es keine Materie gegeben hat, schon aus dem Grunde, weil sie die Beschaffenheit nicht haben kann, in welcher sie uns vorgeführt wird; ebenso sicher ist bewiesen, dass alles von Gott aus nichts geschaffen worden ist. Indem Hermogenes den Zustand der Materie als den beschreibt, worin er sich selbst befindet, nämlich als einen ungeordneten, verworrenen, wirren, als den einer unklaren, hastigen und gärenden Bewegung, so hat er damit eben nur einen Beleg von seiner Berufsart gegeben und sich selbst abgemalt.
Anmerkungen
1. 1) Wachset und mehret euch, Gen. 1, 28.
2. 2) Cauterium, eigentlich ein Instrument zum Einbrennen der Farben in die Wand bei encaustischer Malerei.
4. 1) Tertullian lehrt hier also vor Arius subordinatianisch. Vgl. unten c. 18.
7. 4) Nämlich Herr. Im folgenden ist mit Fr. Junius zu lesen haec oder besser wohl haec illud, nämlich libera.
8. 1) I. Kor. 8, 5. Die Stelle wird abgekürzt citiert.
13. 1) Das zweitemal ist mit Fr. Junius statt aut zu lesen et.
14. 1) Öhler setzt statt ejus willkürlich reus, auch das folgende quia stört den Sinn und Zusammenhang.
15. 1) Öhler wagt hier die nicht üble Änderung competunt statt computantur. Ich übersetze, als wenn da stände: competunt ei oder illi.
17. 1) Ich glaube den neuen Satz mit adeo beginnen zu müssen.
18. 2) Die Lesart destructionibus erscheint hart und gezwungen und ist verdächtig. Ich schlage statt dessen vor deductionibus oder distinctionibus.
19. 3) Geschieht adv. Marc l. III.
22. 2) Sprichw. 8, 27, erste Hälfte.
25. 5) Ebend. Vers 31. Tertullian citiert, diese Verse mit Auslassung der zweiten Hälfte von Vers 28, sonst aber doch genau nach der LXX. Zugesetzt ist jedoch Vers 28 super ventos. Den Vers 29 der Vulgata hat er offenbar nicht in seinem Exemplare gelesen.
26. 6) Aus Sprichw. 8, 22-25, mit Auslassungen und Umstellungen, sonst wörtlich nach der LXX.
27. 7) Sensus et sophia, sine quo wird wohl die bessere Lesart sein. Vergl. de orat 1.
29. 2) Joh. 1, 1; 10, 30, Tertullians Ansichten über die Sophia sind nicht zur Klarheit gediehen. Er lehrt subordinatianisch in betreff derselben,
33. 1) Licet ex, was in den Handschriften steht, wird von den Herausgebern verworfen und durch si et ex ersetzt. Wie mir scheint, nicht ganz glücklich.
44. 2) Is. 45, 18. Nach der LXX. καταδείξας τὴν γῆν.
45. 1) Scit oder Scivit wird die richtige Lesart sein, nicht Sciat.
57. 3) Is. 2, 19; 41, 17; 42, 15.
58. 1) Nach der Lesart oder Conjectur rectae rationis.
61. 2) Die Handschriften haben nach Öhler zwar modo, dem Zusammenhang aber entspricht allein motu.
63. 2) Prov. 8, 22. Joh. 1, 3.
67. 6) Is. 40, 12. Nach dem Gedächtnis citiert.
69. 2) Mit der Lesart perfectus fuisset kann ich nichts anfangen, profectus scheint schon eher zu passen. Der Sinn erfordert fecisset, operatus fuisset oder dergleichen.
Übersetzt von Heinrich Kellner, 1882. Übertragen durch Roger Pearse, 2005.
Der griechischer Text wird mit mit einem Unicode Schriftkegel angezeigt.
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