Um 211 n. Chr.
[Übersetzt von Dr. K. A. Heinrich Kellner]
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Inhalt:
1. Cap. Ob herkömmliche christliche Sitten und Gebräuche sich ändern oder verbessert werden können? Die Glaubensregel ist zwar unveränderlich und unverbesserlich, nicht aber ein jedes blosse Herkommen, zumal da das Christentum ja eine weitere Entfaltung der in ihm liegenden Kräfte nicht ausschliesst.
5. Cap. Fortsetzung. So sei auch der Sprachgebrauch der Genesis.
10. Cap. Denn auch die ehelosen Männer gemessen keiner derartigen Auszeichnung, obwohl sie vielleicht mehr Anspruch darauf hätten. |355
15. Cap. Wenn die Jungfrau sich verschleiert, so wird sie den bösen Blicken entgehen und allen Versuchungen den Weg abschneiden.
16. Cap. Rückblick. Apostrophe an die Jungfrauen und Witwen.
1. Nachdem ich mit meiner Ansicht bereits mein gewöhnliches Schicksal erlitten habe,1) will ich nun auch in lateinischer Sprache den Beweis führen, dass sich unsere Jungfrauen von dem Zeitpunkt an, wo sie die Grenze dieser ihrer Alterstufe überschritten haben, verschleiern müssen. So fordert es die Wahrheit, gegen welche niemand eine Einrede erheben kann, nicht die Länge der Zeit, nicht Vergünstigungen von Personen, nicht ein Privilegium einer Gegend. Aus solchen Umständen nämlich pflegt ein Herkommen, wenn es aus einem Mangel an Kenntnis oder aus Einfalt entstanden ist, durch Nachfolge zu einem Gewohnheitsrecht zu erstarken und sich so gegen die Wahrheit zu behaupten. Allein unser Herr Christus hat gesagt, "ich bin die Wahrheit", nicht, ich bin das Herkommen.2) Wenn Christus immer und vor allem ist, dann ist ebenmässig die Wahrheit etwas immerwährendes und altes. Wenn also manchen Leuten das etwas neues ist, was für sich etwas altes ist, so ist das ihre Sache. Die Häresien werden nicht sowohl durch ihre Neuheit als vielmehr durch die Wahrheit widerlegt.3) Was gegen die Wahrheit verstösst, das ist Häresie, und wenn |356 es auch ein altes Herkommen wäre. Unkenntnis aber ist immer ein Fehler des Betreffenden selber. Was man nicht kennt, das hätte man suchen, sowie das, was man anerkennt, auch in der That annehmen müssen.
Die Glaubensregel ist durchaus nur eine; sie allein ist unbeweglich und unverbesserlich, nämlich dass man glaube an einen einzigen, allmächtigen Gott, den Schöpfer der Welt, und seinen Sohn Jesus Christus, der geboren ist aus Maria, der Jungfrau, gekreuzigt unter Pontius Pilatus, am dritten Tage wieder auferweckt von den Toten; aufgenommen in den Himmel, sitzt er jetzt zur Rechten des Vaters, um wieder zu kommen zu richten die Lebendigen und die Toten, infolge der Auferstehung auch des Fleisches.
Während diese Gesetzesformel des Glaubens bestehen bleibt, lassen doch die übrigen Punkte der Lehre und des Wandels neue Verbesserungen zu, indem die Gnade Gottes ununterbrochen bis zum Ende wirkt und zunimmt. Denn was sollte es heissen, wenn das Werk Gottes stocken oder aufhören wollte, Fortschritte zu machen, während dagegen der Teufel fortwährend thätig ist und alle Tage neue Künste der Gottlosigkeit bringt!? Der Herr hat ja gerade deswegen den Paraklet gesendet, um der Disciplin durch jenen Stellvertreter des Herrn, den h. Geist, allmählich die Richtung zu geben, sie zu ordnen und zur Vollkommenheit zu führen, da die Schwäche des Menschen nicht imstande war, alles auf einmal zu fassen. "Ich habe Euch noch vieles zu sagen," heisst es, "allein Ihr könnt es noch nicht tragen; wenn er aber kommen wird, der Geist der Wahrheit, so wird er Euch in alle Wahrheit einführen und Euch das Zukünftige verkünden."4) Aber auch vorher hat er schon von seinem Wirken geredet. Was also ist die Thätigkeit des Paraklet anders, als der Disciplin ihre Richtung zu geben, die h. Schrift aufzuschliessen, die richtige Einsicht herzustellen und den Fortschritt zum Bessern zu bewirken. Nichts geht ohne seine Zeitperioden vor sich, alles will seine Zeit haben. So sagt denn auch der Ecclesiastes: "Alles hat seine Zeit."5) Schaue hin auf die Geschöpfe selbst, wie sie nach und nach zum Fruchttragen gelangen. Erst ist das Samenkorn da, und aus dem Samenkorn entsteht ein Reis, das Reis wächst zum Bäumchen heran; dann werden die Äste und Zweige stärker und es steht der ganze Baum entfaltet da. Danach schwellen die Knospen, die Blume quillt aus der Knospe hervor und aus der Blume entwickelt sich die Frucht; auch diese ist noch eine Zeitlang unreif und unausgebildet, und wenn sie ihr gehöriges Alter erreicht hat, so entwickelt sich der milde Wohlgeschmack. So befand sich auch die Gerechtigkeit ---- denn der Gott der Gerechtigkeit und der Schöpfung ist einer und derselbe ---- zuerst in ihren Anfängen; die Natur fürchtete Gott; sodann trat sie mit Hilfe des Gesetzes und der Propheten in ihre Kindheit, danach durch das Evangelium in ihr feuriges |357 Jugendalter, und nun entwickelt sie sich durch den Paraklet zur vollen Reife. Der wäre es nun, welcher nach Christus allein noch Lehrer zu nennen und als solcher zu ehren ist. Denn er redet nicht aus sich, sondern was ihm von Christus aufgetragen wird. Dieser ist allein sein Vorgänger, weil jener der einzige nach Christus. Die, welche ihn aufgenommen haben, geben der Wahrheit vor dem Herkommen den Vorzug. Die, welche immerfort auf seine Weissagungen hören, nicht bloss auf die aus der Vorzeit, die verhüllen ihre Jungfrauen.
2. Allein ich will für die in Rede stehende Sitte vorläufig nicht einmal die Richtigkeit beanspruchen. Mag das Herkommen eine Zeitlang als solches gelten, um dem Herkommen auch ein Herkommen entgegenzustellen. In Griechenland und einigen seiner Barbarenländer 6) gibt es mehrere Gemeinden, die ihre Jungfrauen sich verhüllen lassen. Es findet sich auch sonst noch diese Einrichtung hier und dort unter der Sonne, so dass man diese Gewohnheit nicht der griechischen oder barbarischen Nationalität eigentümlich zuzuschreiben braucht. Aber ich habe nur diejenigen Kirchen vorangestellt, welche entweder durch die Apostel selbst oder durch apostolische Männer gegründet wurden, vermutlich sogar noch vor gewissen Leuten.7) Es besitzen folglich auch sie dieselbe Gewähr für ihr Herkommen, und sie verweisen mit mehr Recht auf Zeiten und Vorgänger als diese spätem Kirchen. Wie sollen wir es halten? wofür uns entschliessen? Wir können eine Gewohnheit nicht zurückweisen, die wir nicht verdammen können, weil sie keine fremdartige ist; denn sie gehört nicht draussen Stehenden an, sondern solchen, welchen wir die Rechte des Friedens und den Brudernamen gewähren. Unser Glaube und der ihrige ist einer, wir haben einen Gott, denselben Christus, dieselbe Hoffnung, dieselben Sakramente der Abwaschung und, um es mit einem Male zu sagen, wir bilden eine Kirche. Was also den Unsrigen gehört, ist auch das Unsrige, sonst spaltet man den zusammengehörenden Körper.
Doch es müsste hier, wie es bei allen verschiedenartigen Einrichtungen, Zweifeln und Ungewissheiten zu geschehen pflegt, eine Prüfung angestellt werden, welche von den beiden verschiedenen Gewohnheiten mehr der göttlichen Sittenzucht entspricht. Und da ist dann jedenfalls diejenige Sitte vorzuziehen, welche die Jungfrauen, als nur Gott allein bekannt, in Gewahrsam nimmt. Denn abgesehen davon, dass sie ihren Ruhm bei Gott und nicht bei den Menschen suchen müssen, haben sie auch sogar über ihren eigenen Vorzug zu erröten. Eine Jungfrau setzt man mehr durch Lob als durch Tadel in Verlegenheit, weil die Sünde eine härtere Stirn |358 besitzt. Sie hat von und in der Sünde selbst die Unverschämtheit gelernt. Denn die Gewohnheit, welche die Jungfräulichkeit gleichsam ableugnet, indem sie sie zur Schau stellt, würde bei niemandem Billigung gefunden haben, als nur bei einigen Leuten, die eben so sind wie die betreffenden Jungfrauen selbst. Denn die Augen, welche eine Jungfrau zu sehen wünschen, können nur so sein, wie die Augen der Jungfrau, die gesehen zu werden wünscht. Augen von derselben Art verlangen nacheinander. Die Lust des Sehens ist die gleiche wie die des Gesehenwerdens. Ein heiliger Mann errötet ebenso beim Anblick einer Jungfrau, wie eine heilige Jungfrau, wenn der Blick des Mannes sie trifft.
3. Aber wollten denn die "hochwürdigsten Amtsvorgänger" auch nicht einmal, dass man unter den Gewohnheiten Umschau halte? Doch man verhielt sich bei uns bis auf die jüngste Zeit in duldsamerer Weise hinsichtlich beider Gewohnheiten gleich. Es war dem Gutdünken überlassen, sich, wie es jede wollte, entweder zu verschleiern oder preiszugeben, wie auch zu heiraten, was ja auch weder geboten noch verboten ist. Die richtige Ansicht begnügte sich damit, mit dem Herkommen zu unterhandeln, um stillschweigend wenigstens teilweise ihres Daseins zu geniessen unter dem Namen Herkommen. Allein weil die Erkenntnis angefangen hatte, zuzunehmen, und es sich infolge der Erlaubtheit beider Sitten zu erkennen gab, welches der bessere Teil sei, so begann sofort der Feind alles Guten, besonders der guten Einrichtungen-, sein Werk. Die Jungfrauen der Menschen im Gegensatz zu den Jungfrauen Gottes gehen umher mit ganz unbedecktem Antlitz, zu verwegener Frechheit aufgestachelt und erschienen als Jungfrauen, sie, die sich wohl eine Bitte an die Männer erlauben können, geschweige denn etwas derartiges, dass ihnen ihre Gegnerinnen, die um so grössere Freiheit geniessen, weil sie allein Christi Dienerinnen sind, ausgeliefert werden. "Wir ärgern uns daran," sagen sie, "dass die einen so, die anderen so gehen", und sie wollen lieber Ärgernis leiden als eine Anspornung. Ärgern aber ist, wenn ich mich nicht sehr irre, nicht ein Beweis für die Güte, sondern für die Schlechtigkeit einer Sache, und es erbaut zur Sünde. Gute Thaten gereichen niemandem zum Ärgernis, höchstens einem bösen Gemüte. Wenn Sittsamkeit, Ehrbarkeit, Abscheu vor Ruhmsucht und das Bestreben, Gott allein zu gefallen, etwas gutes ist, dann sollten ihren eigenen schlechten Zustand diejenigen erkennen, welche sich an etwas so gutem ärgern. Denn wie? Falls die Unenthaltsamen vorgeben, an den Enthaltsamen Ärgernis zu nehmen, ist dann die Enthaltsamkeit abzuschaffen? Ist etwa die Monogamie zu verwerfen, damit die mehrmals Verheirateten sich nicht daran ärgern? Warum sollten sich nicht umgekehrt vielmehr jene darüber beklagen, dass ihnen die Ausgelassenheit und Frechheit einer bloss ostensibeln Jungfräulichkeit zum Ärgernis gereiche? Also |359 wegen solcher feilen Personen sollen sich die heiligen Jungfrauen in die Kirche zerren lassen, errötend darüber, dass sie so allen kenntlich in der Mitte stellen, erschrocken, dass sie entschleiert sind, herbeigeschleppt gleichwie zur Entehrung?! Dem kommt es nämlich gleich, und das wollen sie doch nicht dulden. Jede Zurschaustellung einer wahren Jungfrau ist eine Entehrung derselben, und doch ist das Erleiden einer fleischlichen Gewaltthat noch das Geringere, weil sie nur Folge einer natürlichen Verrichtung ist. Da in der Jungfrau der Geist selbst durch Wegnahme des Schleiers verletzt wird, so hat sie gelernt, verlieren, was sie hütete. O über die gottesräuberischen Hände, welche eine gottgeweihte Tracht beseitigen konnten! Was hätte ein Verfolger schlimmeres thun können, falls er nämlich wusste, dass die Jungfrau sich den Schleier erwählt hatte. Du hast das Mädchen am Haupte entblösst, und schon hat sie ganz aufgehört, Jungfrau zu sein; sie ist eine andere geworden. Erhebe dich also, o Wahrheit, erhebe dich und brich los, sozusagen, aus den Fesseln deiner Geduld! Ich wünschte, dass du gar keine Gewohnheit mehr in Schutz nehmest. Denn schon wird auch die, unter deren Schutz du dich des Daseins erfreutest, bekämpft. Zeige, dass du es bist, die die Jungfrau verhüllt. Erkläre selber deine eigenen Schriften, welche von dem Herkommen ignoriert werden. Denn wenn dasselbe sie verstände, so würde es gar nicht existieren.
4. Da es aber herkömmlich ist, auch mit der hl. Schrift in der Hand gegen die Wahrheit zu argumentieren, so wird uns flink der Einwand entgegengehalten: Da, wo der Apostel seine Vorschriften über das Verschleiern gibt, 8) da sage er von den Jungfrauen gar nichts, sondern nenne nur die Weiber, während er doch, wenn es sein Wille gewesen wäre, dass auch die Jungfrauen sich verschleiern sollten, auch von den Jungfrauen gesprochen und sie mit den Weibern zusammen genannt haben würde, so gut wie er an der Stelle, wo er von der Ehe spricht, auch angibt, wie es mit den Jungfrauen zu halten sei. Folglich seien sie nicht in dem Gesetz, sich das Haupt zu verschleiern, inbegriffen, weil in diesem Gesetz nicht namentlich genannt; oder richtiger, sie seien vielmehr gerade dadurch des Schleiers entledigt, da sie weder einen Befehl dazu bekommen haben, noch namentlich aufgeführt seien.
Wir drehen, aber diese Sophisterei um. Derjenige nämlich, welcher an anderen Stellen recht gut beider Klassen Erwähnung zu thun wusste, der Jungfrauen meine ich und der Weiber, d. h. der Nichtjungfrauen, weil eine Ursache zu solcher Unterscheidung vorlag, der gibt hierbei, wo er die Jungfrauen nicht besonders nennt und keinen Unterschied macht, |360 zu erkennen, dass ihre Stellung die gleiche sei. Sonst hätte er auch hier die Verschiedenheit zwischen Jungfrau und Weib hervortreten lassen können, so gut wie er anderswo sagt: "Geteilt ist Jungfrau und Weib." 9) Was er also nicht unterschieden hat, indem er davon schweigt, hat er eins ins andere einbegriffen. Und wenn dort Weib und Jungfrau unterschieden sind, so wird darum doch nicht auch hier diese Teilung in Betracht kommen, wie einige wollen. Denn wie viele Ausdrucksweisen, die sich irgendwo anders linden, haben keine Geltung, an solchen Stellen nämlich, wo sie nicht gebraucht sind, es müsste denn sein, dass es sich um dieselbe Sache handelte, so dass der einmalige Ausdruck genügte. Dort aber verhält sich die Sache in betreff der Jungfrau und des Weibes ganz anders als im vorliegenden Falle. "Geteilt sind", heisst es, "Jungfrau und Weib." Warum geteilt? Weil die Unverheiratete, d. i. die Jungfrau, auf das sinnt, was des Herrn ist, dass sie heilig sei an Körper und Geist, die Verheiratete aber, d. i. die Nichtjungfrau sinnt darauf, wie sie dem Manne gefalle. Das wäre der Sinn jener "Teilung'', die aber in unserem vorliegenden Capitel keine Stelle findet, da dort weder vom Heiraten noch von der Gesinnung und Denkart des Weibes oder der Jungfrau die Rede ist, sondern vorn Verschleiern des Hauptes. Indem der hl. Geist wollte, dass darüber kein Streit sein sollte, hat er unter dem einen Ausdrucke Weib auch die Jungfrau verstanden wissen wollen; indem er sie nicht speziell nannte, hat er sie auch nicht vom Weibe abgesondert, und da er sie nicht absonderte, so hat er sie mit dem, wovon er sie nicht absonderte, verbunden. Ist das denn nun also etwas neues, dass nur der Hauptausdruck gebraucht und doch die übrigen Dinge unter diesem Ausdrucke mitverstanden werden, wenn kein zwingender Grund vorhanden ist, das Allgemeine in seine einzelnen Teile zu zerlegen? Eine kurze umfassende Ausdrucksweise ist von Natur aus willkommen und notwendig; eine gar zu umständliche Redeweise aber lästig und albern. So begnügen wir uns denn auch mit generellen Bezeichnungen, welche den Gedanken an die Spezies in sich begreifen.
Also nun jene Bezeichnung selbst! Natürlicher Ausdruck ist femina, Weib, der generelle natürliche Ausdruck Frauensperson, mulier. Spezialbezeichnungen des Allgemeinen sind: Jungfrau, Eheweib, Witwe, oder was sonst noch für Benennungen der einzelnen Altersstufen hinzukommen. Dem Generellen ist also das Spezielle untergeordnet, weil das Generelle das Frühere ist, das Nachfolgende dem Vorangehenden, der Teil dem Ganzen; sein Begriff ist also in demjenigen enthalten, dem es untergeordnet ist, und es wird durch dasselbe bezeichnet, weil es in ihm steckt. So braucht auch weder Hand noch Fuss, noch sonst ein Glied bezeichnet zu werden, wenn man das Wort Körper ausgesprochen hat. Und wenn man sagt: |361
Welt, so wird dahin auch der Himmel gehören und was sich darin findet, Sonne, Mond, Sterne, Gestirne, Erde, Meer und die ganze Kategorie der Elemente. So hat man also auch, wenn man das Wort Frauenzimmer ausspricht, alles damit bezeichnet, was weiblich ist.
5. Allein da man den Ausdruck Frauensperson so nimmt, als passe er nur allein und ausdrücklich auf die, welche mit einem Manne zu thun gehabt hat, so muss von uns der Beweis erbracht werden, dass die eigentliche Bedeutung dieses Wortes auf das Geschlecht an sich, nicht auf eine Stufe dieses Geschlechtes geht, zu welchem allgemein auch die Jungfrauen gerechnet werden. Als dieses zweite menschliche Geschlecht von Gott zum Beistande des Mannes geschaffen wurde, erhielt das weibliche Wesen sofort den Namen Frauensperson, noch im Stande des Glückes, der Würdigkeit fürs Paradies und der Jungfräulichkeit. "Sie wird Weib genannt werden", heisst es. 10) Das ist also der Name, der der Jungfrau, ich sage schon nicht mehr, gemeinsam mit andern, sondern ihr eigentümlich angehörig ist und den sie als Jungfrau vom Anfang an bekommen hat.
Gar nicht übel wollen einige es auf die Zukunft beziehen, wenn es heisst: "Sie wird Weib genannt werden", als wenn sie das erst hätte werden sollen, sobald das Siegel ihrer Jungfrauschaft gelöst sein würde, da hinzugefügt ist: "Deswegen wird der Mensch Vater und Mutter verlassen und seinem Weibe anhängen, und sie werden zwei sein in einem Fleische"! Diese müssten zuerst zeigen, wo hier die Feinheit stecke, und welche Benennung sie, wenn sie erst für die Zukunft Weib genannt worden ist, bis dahin geführt hat. Denn sie kann doch nicht ohne eine, ihre gegenwärtige Eigenschaft ausdrückende Bezeichnung geblieben sein. Was soll es aber heissen, dass sie, die in der Zukunft mit dem ihr bestimmten Namen benannt werden soll, gegenwärtig gar keinen Namen führt?! Allen lebenden Wesen gab Adam Namen, keinem einzigen aber auf Grund seiner zukünftigen Beschaffenheit, sondern nach ihrer augenblicklichen Einrichtung, der eine jede Art diente; sie wurde nach dem benannt, was sie von Anfang an wollte. Wie wurde sie also damals genannt? So oft sie in der hl. Schrift genannt wird, bekommt sie den Namen Weib, noch bevor sie heiratete, niemals den Namen Jungfrau, da sie doch Jungfrau war. Diese Benennung war damals ihre einzige, auch darum, weil der Ausspruch gar nicht in prophetischer Weise gethan wurde. Denn wenn die Schrift berichtet, dass sie beide, Adam und sein Weib, nackt gewesen seien, so geht auch das nicht auf die Zukunft, als wäre sie Weib genannt worden in Vorhersagung ihrer Eigenschaft als Gattin, sondern weil sie, obwohl auch unverehelicht, doch sein Weib war, weil von seiner Substanz entnommen. "Dies ist'', |362 sagt er, "Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch und wird Weib genannt werden."
Auf Grand dessen also hat unter stillschweigendem Mitwissen der Natur das, was in der Seele göttlich ist, selber manche andere Ausdrucksweisen hervorgerufen, welche, wie wir anderweitig werden zeigen können, 11) ohne dass die Menschen eine Ahnung davon haben, gewöhnlich durch die hl. Schrift veranlasst sind, und auch den Sprachgebrauch hervorgebracht, dass wir unsere Gattinnen Frauenzimmer oder Weiber nennen, obwohl wir uns bei manchen Dingen auch uneigentlich ausdrücken. Auch die Griechen brauchen das Wort Weib von den Ehefrauen, obwohl sie andere, eigentliche Bezeichnungen für letztere besitzen. Ich ziehe es vor, diesen Sprachgebrauch auf das Zeugnis der hl. Schrift zurückzuführen. Denn als die zwei zu einem Fleische werden durch die eheliche Verbindung, da wird "das Fleisch vom Fleische und das Gebein vom Gebein", seinem Ursprünge entsprechend Weib 12) dessen genannt, aus dessen Substanz es sein Dasein genommen hat, obwohl sie nun seine Gattin geworden. Darum ist "Weib" nicht von Natur aus die Bezeichnung für eine Ehefrau, sondern Ehefrau ist unter besonderem Verhältnis die Benennung eines Weibes. Daher kann auch eine, die keine Gattin ist, Weib genannt werden; was aber nicht Weib ist, kann auch nicht Gattin genannt werden, weil es das nicht sein kann. 13)
Nachdem also die Bezeichnung für das neu geschaffene weibliche Wesen, nämlich "Weib", festgestellt und was sie früher war, angegeben ist, nämlich durch den angewiesenen Namen, geht Gott zur prophetischen Weise über und sagt: "Um ihretwillen wird der Mensch Vater und Mutter verlassen." Folglich ist ihre Benennung von der Vorherverkündigung gesondert, so gut wie auch von der Person selber, und er sagt dies nicht von der Person der Eva selber aus, sondern mit Bezug auf die späteren Frauenspersonen, denen er in der Stammmutter des weiblichen Geschlechts ihre Bezeichnung gegeben hat. Wenn das nicht wäre, wie hätte dann Adam Vater und Mutter, die er nicht hatte, verlassen sollen wegen der Eva? Der prophetische Teil des Ausspruchs also bezieht sich nicht auf Eva, weil auch nicht auf Adam. Denn es ist darin von der Stellung der Verehelichten die Rede, welche um des Weibes willen Vater und Mutter verlassen sollten, was weder bei Eva zutreffen konnte noch bei Adam. Wenn dem nun so ist, so leuchtet ein, dass sie nicht wegen der Zukunft "Weib" genannt worden ist, da diese Zukunft nicht auf sie passte. Dazu kommt, dass Adam selbst den Grund dieser "Bezeichnung" angibt. Da er gesagt hatte: "Sie wird Weib genannt werden", fügte er noch |363 hinzu: "Weil sie von ihrem Manne genommen ist", der auch selber noch jungfräulich war. Über den Namen "Mann" jedoch wollen wir betreffenden Orts reden. Daher gebe niemand dem Namen eine prophetische Deutung; denn er ist von einer anderen Bezeichnung abgeleitet, zumal da es klar ist, wo Eva den auf die Zukunft bezüglichen Namen erhalten hat, dort nämlich, wo sie Eva genannt wird. Dies ist nur noch ein Personenname, da sie ihre Naturbezeichnung bereits hat. Denn wenn Eva Mutter des Lebendigen bedeutet, siehe da, so wird sie mit Rücksicht auf die Zukunft so genannt; da wird prophezeit, dass sie Gattin ist, nicht Jungfrau. Das wäre die Ehestandsbezeichnung, weil aus der Verehelichten eine Mutter wird. Und so geht auch daraus klar hervor, dass sie damals nicht mit Rücksicht auf die Zukunft "Weib" genannt worden ist, da sie erst später den auf ihre künftige Stellung bezüglichen Namen erhalten sollte. Auf diesen Punkt ist nun zur Genüge geantwortet.
6. Sehen wir nun zu, ob auch der Apostel der herkömmlichen Anwendung dieses Wortes in Übereinstimmung mit der Genesis folgt und ihn dem Geschlechte beilegt, wenn er die Jungfrau Maria in derselben Weise Weib nennt, wie die Genesis die Eva. Er schreibt nämlich an die Galater: "Es sandte Gott seinen Sohn, geworden aus dem Weibe". 14) Ihre Jungfrauschaft steht bekanntlich fest, wenn auch Ebion widerspricht. Ich erfahre auch, dass der Engel Gabriel "zur Jungfrau gesandt worden sei". Aber da er sie selig preist, rechnet er sie nicht zu den Jungfrauen, sondern zu den Weibern. "Gebenedeit bist du unter den Weibern". 15) Auch der Engel wusste, dass man eine Jungfrau auch Weib nenne. Auch auf diese beiden Bemerkungen glaubt ein gewisser Jemand eine geistreiche Antwort gegeben zu haben. Maria sei vom Engel und vom Apostel deshalb Weib genannt worden, weil sie verlobt war; denn eine Verlobte sei gewissermassen verheiratet. Zwischen gewissennassen und wirklich ist aber doch noch ein grosser Unterschied, wenigstens in diesem Falle. In anderen Fällen mags ja wohl so sein. Hier aber haben sie Maria Weib genannt, nicht weil sie sozusagen schon verheiratet war, sondern weil sie nichtsdestoweniger ein weibliches Wesen war, auch ohne verlobt zu sein, und sie vom Anfang an so bezeichnet. Denn das muss den Ausschlag geben, was den Ursprung der Regel ausmacht. Wenn Maria ---- was noch zu diesem Capitel gehört ---- hier übrigens einer Verlobten gleichgestellt und darum Weib genannt wurde, nicht insofern sie ein weibliches Wesen, sondern weil sie eine Verehelichte war, dann ist Christus also nicht mehr aus der Jungfrau geboren worden. Denn sie war eine Verlobte, die damit aufgehört hätte, Jungfrau zu sein. Ist er aber aus einer |364 Jungfrau geboren, die, obschon verlobt, doch unversehrt war, so erkenne daran, dass auch eine Jungfrau, auch eine Unversehrte Weib genannt werden könne. Hier kann es sicher nicht den Anschein gewinnen, als sei der Ausspruch prophetisch, und als habe der Apostel das zukünftige Weib, d. i. die Verheiratete gemeint, wenn er sagt: "Der aus dem Weibe geworden ist." Denn er konnte gar nicht das nachmalige Weib, d. i. die, die mit dem Manne Umgang gehabt, namhaft machen, da Christus von ihr nicht geboren werden sollte, sondern die, welche sie gegenwärtig war, sie, die Jungfrau war, wurde auch Weib genannt, nach der Besonderheit dieses Wesens, die, entsprechend der uranfänglichen Regel, für die Jungfrau und somit für das ganze weibliche Geschlecht angenommen worden ist.
7. Wir wenden uns nun zu den Motiven selbst, um derentwillen der Apostel die Notwendigkeit der Verschleierung des Weibes lehrt, um zu sehen, ob sie auch auf die Jungfrauen passen. Die gemeinschaftliche Anwendung derselben Benennung auf Jungfrauen und Nichtjungfrauen würde eine weitere Bestätigung erhalten, wenn es sich findet, dass auf beiden Seiten dieselben Ursachen zum Verschleiern vorhanden sind. Wenn der Mann das Haupt des Weibes ist, dann ist er offenbar auch das Haupt der Jungfrau, welche ja zum verehelichten Weibe wird; oder es müsste sein, dass die Jungfrauen eine dritte Art Wesen wären, und zwar eine ungeheuerliche, mit einem besondern Haupte. Wenn es für das Weib schimpflich ist, sich kahl zu scheren oder rasieren zu lassen, dann sicher auch für die Jungfrau. Wenn mithin die Welt, diese Feindin Gottes, lügenhaft vorgibt, solch kurz geschnittenes Haar, wie es dem Knaben erlaubt ist, gereiche der Jungfrau zur Zierde, so ist das ihre Sache. Also, wem es nicht ansteht, sich zu rasieren oder zu scheren, dem steht es umgekehrt in gleicher Weise an, bedeckt zu sein. Wenn das Weib der Stolz des Mannes ist, 16) um wie viel mehr noch die Jungfrau, die ihr eigener Stolz ist. Wenn das Weib aus dem Manne und wegen des Mannes erschaffen ist, 17) so war jene bewusste Rippe Adams zuerst eine Jungfrau. Wenn das Weib eine Macht über seinem Haupte haben muss, 18) dann noch umsomehr die Jungfrau, auf welche sich das bezieht, was schuld daran ist. Wenn es nämlich wegen der Engel geschieht, verstellt sich wegen derjenigen, die, wie wir lesen, aus Begierde nach Weibern von Gott und vom Himmel abgefallen sind, wer könnte sich dann einbilden, dass diese Engel nach bereits befleckten Leibern Begierde gehabt hätten, und nach dem, was die Wollust der Menschen übrig gelassen? Sie müssen im Gegenteil für Jungfrauen entbrannt sein, deren jugendliche Blüte auch |365 der Begierlichkeit der Menschen als Entschuldigung dienen muss. Auch die hl. Schrift deutet dies an: "Und es geschah," heisst es, "als die Menschen anfingen zahlreich zu werden auf der Erde und ihnen Töchter geboren wurden, die Söhne Gottes aber auf die Töchter der Menschen blickten und sahen, dass sie schön waren, so nahmen sie sich Weiber aus allen, welche sie wollten." 19) Hier bedeutet das griechische Wort "Weib" Eheweib, weil vom Heiraten die Rede ist. Da es also heisst: "Töchter der Menschen", so sind offenbar Jungfrauen damit bezeichnet, die noch ihren Eltern zugezählt werden ---- denn die Verheirateten werden nach ihren Ehemännern genannt ---- während es hätte heissen können: "Die Eheweiber der Menschen". In gleicher Weise werden dort die Engel nicht Ehebrecher, sondern Ehemänner genannt, weil sie ledige Töchter der Menschen nahmen, die eben als "geborene" bezeichnet wurden, womit ebenfalls ihr jungfräulicher Stand angedeutet ist. Oben waren sie Geborene, hier sind sie den Engeln Vermählte. Anders kenne ich sie nicht, nur als Geborene und darnach Vermählte. Verdeckt also muss ein Antlitz werden, welches so gefährlich ist, dass es sein Ärgernis bis zum Himmel hinauf zu schleudern vermochte; und, wenn es vor Gott erscheint, vor dem es des Falles der Engel schuldig ist, muss es sich auch vor den übrigen Engeln schämen, die einst von so Übeln Folgen begleitete Ungebundenheit. seines Hauptes einschränken und es auch den Blicken der Menschen nicht einmal mehr darbieten. Aber gesetzt, die Engel hätten nach bereits befleckten Frauen Begierde gehabt, dann hätten die Jungfrauen noch umsomehr wegen der Engel verschleiert werden müssen, weil die. Engel um Jungfrauen halber noch leichter hätten sündigen können. Wenn aber der Apostel als einen Fingerzeig der Natur hinzufügt, dass das Überwallen des Haares "eine Auszeichnung des Weibes sei, weil ihr das Haar zur Bedeckung diene", 20) so ist dasselbe gewiss im höchsten Masse eine Auszeichnung der Jungfrau. Es ist recht eigentlich ihr Schmuck in der Weise, dass es, auf dem Scheitel angesammelt, den Gipfel des Hauptes mit einem Kranze bedeckt.
8. Im Gegensatz zu allem dem ergibt sich mit. Gewissheit, dass der Mann sein Haupt nicht verhüllen darf, weil er nämlich von Natur aus keinen Haarschmuck erhalten hat, weil rasiert und geschoren werden für ihn nichts schimpfliches ist, weil seinetwegen keine Engel abgefallen sind, weil er der Ruhm und das Ebenbild Gottes und weil sein Haupt Christus ist. Da also der Apostel vom Manne und vom Weibe handelt, warum letzteres sich verschleiern müsse, ersterer aber nicht, so liegt am Tage, warum er in betreff der Jungfrau Schweigen beobachtet hat. Er lässt es |366 nämlich aus demselben Grunde zu, beim Ausdrucke "Weib" auch an die Jungfrau mitzudenken, aus welchem er den Knaben nicht genannt hat, der zu den Männern zu rechnen ist. Er hat den gesamten Bestand beider Geschlechter unter seinen eigentlichen Bezeichnungen zusammengefasst: Mann und Weib. So findet sich denn auch Adam, da er noch unversehrt war, in der Genesis "Mann" genannt: "Sie wird Weib genannt werden, weil sie von ihrem Manne genommen ist." So war Adam Mann noch vor dem ehelichen Zusammenkommen, so gut wie Eva Weib. Der Ausdruck des Apostels reicht aus für alle einzelnen Arten beider Geschlechter; er drückt sich ebenso kurz als umfassend aus in der inhaltreichen Bestimmung: "Jedes Weib". 21) Was heisst nun jedes Weib, wenn nicht die Weiber jeder Art, jedes Standes, jeder Stellung, jeder Würde, jedes Alters? Denn "jedes" ist gleich: das Ganze, das Vollständige, dem an keinem seiner Teile etwas fehlt. Einen Teil des weiblichen Geschlechts aber machen die Jungfrauen aus. Ebenso sagt er betreffs des Nichtverschleierns der Männer: "Jeder". 22)
Siehe, da sind die beiden verschiedenen Namen: Mann und Weib. Jedes Mal heisst es "Jedes". Zwei Gesetze entsprechen einander gegenseitig, hier das Gesetz des Verschleierns, dort das des Gegenteils. Wenn also darum, weil es heisst: "Jeder Mann", die Benennung Mann auch auf den, der noch nicht Mann ist, geht, auf das unmündige Knäblein, die Benennung ihnen gemeinsam ist infolge der Natur, und das Gesetz, den, der unter den Männern den Platz der Jungfrau einnimmt, nicht zu verschleiern, ein gemeinsames ist, ---- gemäss der Sittenzucht, ---- warum sollte damit nicht ebenso das Präjudiz gegeben sein, dass unter der Benennung "Weib" auch jede Jungfrau unter diesem den Weibern gemeinsamen Namen mitinbegriffen sei, so dass das Gesetz auch für sie gemeinschaftlich gelte? Wenn die Jungfrau kein Weib ist, dann ist auch das Knäblein kein Mann. Wenn die Jungfrau sich nicht verschleiert, weil sie kein Weib ist, dann sollte das Knäblein verschleiert werden, weil es kein Mann ist. Bei gleicher Jungfrauschaft mag auch die Freiheit die gleiche sein! Wie man die Jungfrau nicht zwingt, sich zu verschleiern, so müsste man umgekehrt dem Knaben nicht befehlen, unbedeckt zu bleiben. Warum erkennen wir die Vorschrift des Apostels als eine vollständige, alle Männer betreffende an, und haben kein Bedenken deswegen, dass er die Knaben nicht auch namentlich aufführt, weichen dagegen bei dem andern Teile wieder vom richtigen Wege ab, obwohl seine Vorschrift doch ebenso vollständig ist hinsichtlich sämtlicher Weiber. "Wenn jemand streitsüchtig ist," sagt er, "so haben wir eine solche Gewohnheit nicht, und die Kirche Gottes auch nicht." 23) Er gibt damit zu erkennen, dass irgend eine Kontroverse über diesen Fall existiert habe, zu deren Unterdrückung er sich eines kurz umfassenden Ausdrucks bediente, |367 weil er einerseits die Jungfrauen nicht nannte, um anzudeuten, dass über deren Verschleierung kein Zweifel zu erheben sei, indem er sie mitgenannt hatte, als er den Ausdruck "jedes "Weib" brauchte. So haben es die Korinther selber auch verstanden. Denn noch heutzutage verschleiern die Korinther ihre Jungfrauen. Was die Apostel gelehrt haben, das bestätigen die Schüler derselben.
9. Sehen wir nun zu, ob auch das, was die Kirchendisciplin in betreff der Weiber vorschreibt, sich ebenso auf die Jungfrauen beziehe, wie wir hinsichtlich der Fingerzeige der Natur und der Sache gezeigt haben, dass sie auch auf die Jungfrauen passe. Es wird dem Weibe nicht gestattet, in der Kirche Reden zu halten, auch nicht zu lehren, zu taufen, zu opfern, und sich einen Anteil an irgend welchem Amte des Mannes, geschweige denn gar der priesterlichen Obliegenheiten, anzumassen. Sehen wir zu, ob der Jungfrau etwas davon erlaubt sei! Wenn der Jungfrau nichts davon erlaubt ist, sondern wenn sie in allen Dingen denselben Bedingungen unterworfen ist und in der Notwendigkeit der Demut gleich steht mit dem Weibe, warum sollte ihr denn in jenem einen Punkte gestattet sein, was dem Weibe nicht gestattet ist? Wenn eine eine Jungfrau ist und ihren Leib heilig zu halten sich vorgenommen hat, verdient sie dann etwa eine Bevorzugung, die ihrem Lose zuwider ist? Erhält sie den Schleier, damit sie in der Kirche geehrt und ausgezeichnet erscheine und die der Heiligung zukommende Ehre in der Freiheit ihres Hauptes zur Schau trage? Passender hätte sie ja durch irgend einen der Stellung oder dem Wirkungskreise des Mannes zustehenden Vorzug geehrt werden können! So kenne ich allerdings einen Fall, dass irgendwo eine Jungfrau von noch nicht zwanzig Jahren in den Rang der Witwen versetzt worden ist. Wenn der Bischof ihr eine Unterstützung schuldig war, so hätte er sie ihr jedenfalls in anderer Weise ohne Verletzung der Kirchendisciplin zuwenden können. Dann würde sie sich nicht jetzt als etwas auffallendes, um nicht zu sagen monströses, in der Kirche bemerklich machen, als eine Jungfrau-Witwe. Die Sache wird dadurch noch ungeheuerlicher, weil sie als Witwe auch ihr Haupt nicht bedeckt und so beide Eigenschaften ableugnet, die Jungfräulichkeit, da sie als Witwe angesehen wird, und die Witwenschaft, indem sie Jungfrau genannt wird. Aber sie sitzt nun da mit demselben Ansehen, unverschleiert, weil auch Jungfrau, auf dem Kirchensitz, wohin manchmal, abgesehen von ihren 60 Jahren, 24) nicht bloss Witwen eines Mannes, d. i. Verheiratete, sondern sogar Mütter gewählt werden, und zwar solche, welche Kinder erzogen haben, damit sie nämlich, mit Erfahrungen über alle Seelenzustände ausgerüstet, auch die andern leichter durchschauen |368 und ihnen mit Rat und Trost beistehen können und damit sie nichtsdestoweniger alles durchgemacht haben, worin das Weib sich bewähren kann. Folglich ist der Jungfrau keine Auszeichnung in Hinsicht auf den Platz gestattet.
10. Auch keine Ehre durch irgend welche Abzeichen. Es ist schon hart genug, dass die Weibsleute, die doch in allem den Männern untergeordnet sind, ein ehrendes Kennzeichen ihrer Jungfrauschaft zur Schau tragen, um dessentwillen sie von den Brüdern hochgeachtet, geehrt und verherrlicht werden, während so viele jungfräuliche Männer, so viele freiwillig Verschnittene einhergehen, ohne dass ihr Vorzug bemerkbar wäre, indem sie nichts tragen, was sie auszeichnete. Sie sollten doch auch irgend welche Abzeichen für sich in Anspruch nehmen, entweder die Federbüsche den Garamanten, die Kopfbinden der Barbaren, die Cicaden 25) der Athener, die Haarbüschel der Deutschen, die Tätowierungen der Bretonen, oder im Gegenteil, sie sollten sich mit verschleiertem Haupte in der Kirche verbergen. Wir sind überzeugt, dass der h. Geist den jungfräulichen Männern Zugeständnisse der Art viel eher hätte machen können, wenn er sie den Weibern gemacht hätte, da den Männern, abgesehen von dem höhern Ansehen ihres Geschlechtes, auch um der Enthaltsamkeit selbst willen höhere Ehre gebührt hätte. Je stärkere und brennendere Begierde dieses Geschlecht gegen die Weiber empfindet, desto schwieriger ist die Beherrschung des heftigeren Triebes, und desto mehr jeder Auszeichnung würdig, wenn die Schaustellung der Jungfräulichkeit überhaupt etwas würdiges ist. Hat nicht. Enthaltsamkeit den Vorzug vor der Jungfräulichkeit? sei es die der Witwer oder sei es, dass man infolge einer Übereinkunft sich der gemeinsamen Herabwürdigung bereits begeben habe. Denn die Jungfräulichkeit ist Gnade, die Enthaltsamkeit aber Tugend. Das nicht mehr zu begehren, in dessen Begehren man alt geworden ist, das kostet gewaltigen Kampf. Die Dinge aber, deren Genuss man nicht kennt, wird man nicht begehren, da man die genossene Begierde nicht zu überwinden hat. Wie wäre es also möglich, dass Gott nicht viel eher den Männern etwas derartiges als Auszeichnung zugebilligt haben sollte, schon weil sie ihm als sein Ebenbild näher stehen und weil sie sich mehr angestrengt haben. Wenn er aber dem Manne nichts zugebilligt hat, dann der Frau noch viel weniger.
11. Jedoch wir wollen nun das beantworten und erledigen, was wir vorhin übergangen haben zu gunsten der darauffolgenden Auseinandersetzung, um den Zusammenhang derselben nicht zu unterbrechen. Wie wir nämlich in betreff der uneingeschränkten Bestimmung des Apostels die Stellung genommen haben, dass mit "jedes Weib" auch jede Altersstufe gemeint sei, |369 da müsste man von seiten der Gegner die Antwort erwarten, gut, folglich muss die Jungfrau von Geburt und von der ersten Anwendung dieser Altersbezeichnung an verhüllt werden. So ist es aber nicht, sondern nur von der Zeit an, wo sie anfängt, sich ihrer selbst bewusst zu werden, in die Empfindung ihrer Naturbeschaffenheit einzutreten und die einer Jungfrau zu verlieren und etwas neues anfängt gewahr zu werden, was Eigentümlichkeit der andern Altersstufe ist. Auch die ersten Menschen, Adam und Eva, gingen nackt, so lange sie die Erkenntnis noch nicht hatten. Sobald sie hingegen vom Baum der Erkenntnis gekostet hatten, so war das erste, was sie einsahen, das, dass man sich schämen müsse. So gab dann jedes die gewonnene Einsicht von seiner Geschlechtseigenheit durch Bedecken zu erkennen. Aber gesetzt auch, die Mädchen müssten wegen der Engel verschleiert werden, so tritt das Gesetz des Verschleierns ohne Zweifel erst mit dem Alter in Wirksamkeit, von wo an sie als Töchter der Menschen Verlangen nach sich erwecken und eine Ehe eingehen können. Denn das Mädchen hört auf, eine Jungfrau zu sein, von dem Augenblick an, wo es imstande ist, es nicht zu sein. Darum gilt es bei den Israeliten als unerlaubt, ein Mädchen dem Manne zu übergeben, es sei denn, dass durch das Blut seine Reife bezeugt sei; mithin ist sie vor Eintritt dieses Anzeichens unreif. Wenn sie also nur so lange Jungfrau bleibt, als sie unreif ist, so endigt sie ihre Jungfrauschaft, sobald ihre Reife zutage tritt, und das Gesetz findet auf sie als Nichtjungfrau bereits seine Anwendung so gut wie das Heiraten.
Was die Verlobten betrifft, so gilt für sie das Beispiel der Rebekka, welche, als sie ungekannt zu dem ihr noch unbekannten Bräutigam geführt wurde, sobald sie erkannte, dass er es sei, den sie von weitem gesehen, nicht, erwartete, bis sie den Händedruck erhalten, bis sie durch den Kuss mit. ihm verbunden war, bis sie den Gruss gewechselt hatten, sondern sie bekannte, was sie empfand, nämlich dass sie dem Geiste nach bereits eine Verheiratete sei, und verleugnete ihre Jungfrauschaft, indem sie sich sofort verhüllte. 26) Das war ein Weib bereits nach der Lehre Christi! Sie zeigt uns nämlich, dass auch zur Eheschliessung schon der blosse Blick und Wille hinreiche so gut wie zur Hurerei.
Allerdings, eine Rebekka verschleiern manche wohl auch noch, 27) in betreff der übrigen aber, d. h. derer, die keine Verlobten sind, was liegt da an dem Aufschub 28) seitens der Eltern, der aus Unbemitteltheit und Ängstlichkeit hervorgeht, was liegt da sogar an dem Gelübde der Enthaltsamkeit?! Dass das Alter seine Zeitabschnitte durchläuft und der Geschlechtsreife seinen Tribut zahlt, das geht uns alles nichts an. Schon hat heimlich eine andere Mutter, die Natur, schon hat unbemerkt ein anderer Vater, |370 die Zeit, nach ihren Gesetzen für die Verheiratung der Tochter gesorgt. Siehe nur hin, wie deine Jungfrau bereits verheiratet ist, dem Geiste nach durch die Hoffnung auf die Ehe, dem Fleische nach, durch dessen Umbildung, und du suchst für sie noch einen zweiten Mann! Bereits hat sich die Stimme gesetzt und die Körperform ihre Fülle erlangt, aus Verschämtheit fühlt sie das Bedürfnis, sich überall zu verhüllen, die Monate zahlen ihren Tribut, und du willst noch behaupten, die sei kein Weib, der es, wie du selbst zugibst, nach Weiberart ergeht? Wenn es erst die Verbindung mit dem Manne ist, was sie zum Weibe macht, dann brauchten sie nicht eher verhüllt zu werden, als bis sie von der Ehe selbst Gebrauch gemacht haben. Nun aber werden sie auch bei den Heiden dem Manne nur verschleiert zugeführt. Wenn sie aber zum Zweck der Verlobung verschleiert werden, weil sie durch Kuss und Händedruck dem Körper und Geiste nach dem Manne bereits verbunden sind und dadurch zuerst geistig die Siegel der Schamhaftigkeit gebrochen haben durch das Unterpfand gemeinschaftlichen Einverständnisses, wodurch sie sich die vollständige Vereinigung zusagen, mit wie viel grösserem Recht wird die Rücksicht auf die Zeit sie zum Verschleiern anhalten! Denn ohne dieselbe können sie gar nicht Verlobte werden, und bei ihrem Herannahen hören sie auch ohne eigentliche Verlobung auf, Jungfrauen zu sein. Auch die Heiden halten die Zeit inne, um dem Gesetze der Natur entsprechend den einzelnen Altersstufen gerecht zu werden. Denn die Personen weiblichen Geschlechts werden mit zwölf Jahren, die Männer mit zwei Jahren mehr zu Geschäften verwendet, indem man die Geschlechtsreife in die Jahre, nicht in die stattgefundene Verlobung oder Hochzeit setzt. Die Hausmutter bekommt den Namen, wenn sie auch noch Jungfrau, und der Hausvater, wenn er auch noch Knabe ist. Und wir beobachten nicht einmal mehr die natürlichen Eigentümlichkeiten? Als wenn der Gott der Natur ein anderer wäre als der unsrige!
12. Erkenne nun an, dass sie Weib, erkenne auch an, dass sie eine Verheiratete sei, auf die Zeugnisse ihres Körpers und Geistes hin, die sie in ihrem Innern und an ihrem Leibe verspürt. Das sind die Verlöbnis- und Eheverträge der Natur; sie sind als die frühem da. Lege der, die innerlich ihre Bedeckung schon hat, auch äusserlich den Schleier an! Sie möge auch oben verhüllt werden, sie, die unten nicht unbedeckt ist. Willst du wissen, wie gross der Einfluss des Alters ist, so nimm sie beide und gib einer Geschwächten den Anzug einer Frau und einer, die im Alter vorgeschritten, aber in der Jungfrauschaft verharrte, ihren gewöhnlichen Anzug. Man würde dann eher sagen, die erstere sei kein Weib, als die letztere für eine Jungfrau halten. So stark ist also der Eindruck des Alters, dass er nicht einmal durch die Kleidung abgeschwächt werden kann. Ferner, wie, wenn diese unsere Jungfrauen nun auch noch durch ihren |371 Putz die durch das Alter bewirkte Veränderung verraten und sich, sobald sie sich bewusst geworden sind, Weiber zu sein, von den Mädchen absondern und auch von ihrem Haupte das entfernen, was sie gewesen sind? Sie ändern ihre Haartour, stecken den so koketten Pfeil durch ihre Flechten und bekennen durch das in der Mitte gescheitelte Haar offen, dass sie zu den Weibern gehören. Bereits ziehen sie auch den Spiegel über ihre Gestalt zu Rate, das Gesicht, das auf mehr Pflege Anspruch macht, plagen sie mit Waschungen oder fälschen sein Aussehen vielleicht gar durch chemische Mittel, das Pallium werfen sie lose um, die verschieden geformten Stiefeletten lassen sie eng ansitzen, und zum Baden nehmen sie eine grössere Menge Gerätschaften mit. 29) Was soll ich die Einzelheiten durchgehen? Die äusserlich sichtbaren Zurüstungen allein schon verkünden laut, dass sie Weiber seien. Als Jungfrauen aber wollen sie nur durch ihr unbedecktes Haupt erscheinen und leugnen in der Kleidung allein ab, was sie in ihrer ganzen übrigen Erscheinung eingestehen.
13. Wenn sie ihren Putz missbräuchlich aus Rücksicht auf die Menschen tragen, so mögen sie ihn auch hierin vollständig machen und ihr Haupt verschleiern, wie sie es vor den Heiden thun; wenigstens mögen sie denn doch in der Kirche ihren jungfräulichen Stand verbergen, den sie ausserhalb der Kirche verheimlichen. Fürchten sie die Nichtchristen, so sollten sie auch die Brüder respektieren, oder sie sollten sich consequent bleiben und auch die Dreistigkeit haben, als Jungfrauen auf der Strasse zu erscheinen, wie sie es sich in den Kirchen unterstehen. Ich werde ihren Mut loben, wenn sie ihre Jungfräulichkeit auch vor den Heiden etwas zur Schau stellen wollten. Die Natur ist dieselbe, draussen wie drinnen, die Lehre ist dieselbe und erfreut sich vor den Menschen und vor Gott derselben Freiheit. Zu welchem Zwecke also verhehlen sie draussen diesen ihren Vorzug und spielen sich in der Kirche damit auf? Ich möchte die Ursache gern wissen. Etwa um das Wohlgefallen der Brüder zu erregen oder das Gottes selbst? Wenn es sich um Gott handelt, so ist er ebenso vermögend, zu sehen, was im Verborgenen geschieht, als gerecht, um das zu belohnen, was um seinetwillen allein geschieht. So schreibt er denn auch vor, dass wir nichts von dem, was bei ihm Lohn verdienen wird, austrompeten und uns nicht dafür von den Menschen belohnen lassen sollen. 30) Wenn nun von der Spendung eines halben Denars oder sonst eines Almosens die Linke nichts erfahren soll, mit wie dichter Finsternis müssen wir uns erst umhüllen, wenn wir Gott ein so grosses Opfer darbringen, wie das unseres Leibes und Geistes selbst, wenn wir ihm unser ganzes Wesen heiligen! Was also nicht das Aussehen haben kann, als geschähe |372 es Gottes wegen ---- denn Gott will nicht, dass es in dieser Weise geschieht, ---- das geschieht folglich nur um der Menschen willen, und ist natürlich in erster Linie unerlaubt, weil der Ruhmsucht damit gefröhnt wird. Ruhmsucht nämlich ist für die unerlaubt, deren Bewährung in jeglicher Demütigung besteht. Und wenn dir von Gott die Tugend der Enthaltsamkeit verliehen wird, "was rühmst du dich, als wenn du sie nicht empfangen hättest"? 31) Wenn du sie aber empfangen hast, was hast du, was dir nicht gegeben worden wäre? Daraus aber, dass du die Enthaltsamkeit nicht Gott allein weihest, geht klar hervor, dass Gott sie dir nicht verliehen hat. Sehen wir also wohl zu, ob, was bloss menschlich ist, dauerhaft und echt sein könne?
14. Man erzählt, es habe einmal eine, als zuerst diese Frage angeregt wurde, entgegnet: Wie würden wir denn sonst die andern zu diesem Werke aneifern können? Natürlich, es würde ein Glück für uns sein, wenn sich ihre Zahl mehrt, und nicht die Gnade Gottes oder die Verdienste einer jeden! Gereichen die Jungfrauen der Kirche oder die Kirche den Jungfrauen zur Zierde und zur Empfehlung bei Gott? Jene Person bat also damit nur gestanden, dass es sich um die Ehre handele. Wo aber Ehrgeiz ist, da ist Wetteifer; wo Wetteifer, da gezwungenes Wesen; wo gezwungenes Wesen, da Notwendigkeit; wo Notwendigkeit, da Schwäche. Da sie denn also ihr Haupt nicht bedecken und sich anspornen lassen durch den Ehrgeiz, so sehen sie sich dann, wie natürlich, gezwungen, ihren Mutterleib zu verdecken, wenn sie aus Schwäche gefallen sind. Denn ein Produkt der Rivalität sind diese Jungfrauen, nicht der Religiosität. Zuweilen ist sogar der Bauch ihr Gott, weil Jungfrauen bei der Christengemeinde leicht Aufnahme finden. Aber sie kommen nicht bloss zum Fall, sondern schleppen auch eine lange Kette von Fehltritten hinter sich her. Da sie nämlich in den Vordergrund gestellt, durch Schaustellungen ihres Vorzuges stolz gemacht und von den Mitchristen mit jeglicher Ehre und Liebeserweisung überhäuft worden sind, so sinnen sie, da sie, wenn etwas vorgefallen ist, nicht verborgen bleiben können, so viel Schande aus, als sie früher Ehre hatten. Gehört ein unverhülltes Haupt wesentlich zur Jungfrauschaft, so bleibt eine Jungfrau, wenn ihr die Gnade der Jungfräulichkeit abhanden gekommen ist, auch dann noch, um sich nicht zu verraten, unbedeckten Hauptes und geht nun in einer Tracht, die ihr gar nicht mehr zukommt. Solche sind sieh ihrer zweifellosen Weibernatur schon sehr gut bewusst, wagen aber doch, blossen Hauptes sich Gott zu nahen. Aber unser Gott und Herr ist ein Eiferer, der gesagt hat: "Nichts ist verborgen, was nicht offenbar wird," 32) und der auch schon manches an |373 den Tag gebracht hat. Denn bekennen werden sie nicht eher, als bis das Geschrei ihrer Kinder sie verrät. Je mehr ihrer aber werden, desto zahlreicherer Vergebungen wird man sie für verdächtig halten. Ich sage es, wenn auch ungern, schwerlich wird das Weib nur einmal das, was sie zu werden sich fürchtet, zumal, wenn sie es bereits geworden, sich vor dem Angesicht Gottes heuchlerisch noch als Jungfrau hinzustellen imstande ist. Wie viele Versuche wird sie an ihrem Mutterleibe wagen, um nicht auch als Mutter entdeckt zu werden! Gott weiss es, wie vielen Kindern er zur völligen Heranbildung und zur Geburt verholten hat, die ihre Mütter eine Zeitlang zu verderben gesucht hatten. Derartige Jungfrauen pflegen leicht zu empfangen und glücklich zu gebären, und zwar Kinder, die ihren Vätern gleichen.
Zu solchen Schandthaten führt eine erzwungene und unfreiwillige Jungfräulichkeit. Schon das Verlangen, nicht verborgen zu bleiben, ist ein Mangel an Schamhaftigkeit. Sie fühlt etwas, was der Jungfrau nicht ansteht, das Streben zu gefallen, und zwar noch dazu bei den Männern. Mag sie mit noch so gutem Willen anfangen; notwendig muss sie durch die Schaustellung ihrer Person in Gefahr kommen, wenn sie von unsicheren und häufigen Blicken getroffen, wenn sie durch die Finger der auf sie Zeigenden in Erregung versetzt, wenn sie zu gern gesehen wird und unter Umarmungen und unablässigen Küssen erglüht. Auf diese Weise wird die Stirn verhärtet; so wird die Sittsamkeit aufgezehrt, so vergeht sie, so lernt sie schon nach einem andern Wohlgefallen verlangen.
15. Die echte, vollständige und reine Jungfräulichkeit hat vor nichts grössere Furcht als vor sich selbst. Sie wünscht auch die Augen der Frauen nicht ertragen zu müssen. Sie selber hat andere Augen. Sie nimmt ihre Zuflucht zum Schleier als zu ihrem Helm, als zu ihrem Schild, der ihren Schatz decken soll gegen die Pfeile der Versuchung, gegen die Geschosse der Ärgernisse, gegen Verdacht, Ohrenbläserei, Feindschaft und auch gegen den Neid. Denn es gibt ein gewisses Etwas, was auch nach der Ansicht der Heiden zu fürchten ist; man nennt es den bösen Blick, den unglücklichen Ausgang des zu grossen Lobes und Ruhmes. Wir geben dies manchmal dem Teufel schuld; denn sein ist der Hass des Guten, zuweilen aber schreiben wir es Gott zu; denn sein ist das Gericht über die Hoffart; er erhöht die Demütigen und stürzt die Hohen. Eine recht heilige Jungfrau wird mithin schon um des bösen Blickes willen auf der einen Seite den bösen Feind, auf der andern Seite Gott fürchten, des einen neidischen Trug, des andern richtendes Auge, und froh sein, wenn sie nur sich selbst und Gott bekannt ist. Aber auch dann, wenn jemand sie kennt, thut sie klug, wenn sie den Versuchungen den Weg verbaut. Denn wer wird es noch wagen, mit seinen Blicken einem Antlitze lästig zu fallen, |374 das geschlossen ist, das nichts fühlt, das sozusagen traurig ist?! Jeglicher böse Gedanke wird durch den Ernst desselben gestört werden. Diejenige, welche ihre Jungfrauschaft verbirgt, entsagt dann förmlich auch ihrer Eigenschaft als Weib.
16. Auf diesen Gründen fusst die Verteidigung unserer Ansicht als schriftgemäss, naturgemäss und entprechend der Disziplin. Die hl. Schrift legt den Grund für das Gesetz, die Natur beglaubigt es, die Disziplin fordert es. Mit wem von diesen dreien hält es denn nun die Gewohnheit und das Gutdünken oder womit beschönigt sich die entgegengesetzte Meinung? Von Gott kommt die hl. Schrift, von Gott die Natur, von Gott die Disziplin. Was diesen dreien zuwider läuft, ist nicht von Gott. Wenn sich die hl. Schrift unbestimmt hält, dann spricht die Natur klar und deutlich, und nach ihrem Zeugnis kann die Schrift nicht mehr unbestimmt bleiben. Wenn die Natur zu Zweifeln Raum lässt, so zeigt uns die Disziplin, was Gott wohlgefälliger sei. Ihm ist nichts lieber als Demut, nichts angenehmer als Eingezogenheit, nichts widerwärtiger als Ehrgeiz und das Verlangen, den Menschen zu gefallen. Es soll dir also als pflichtgemäss, als Lehre der Natur, als Disziplin das gelten, wovon du findest, dass es Gott angenehmer sei, entsprechend dem Befehle, alles zu prüfen und dem besten nachzustreben.
Es bleibt nun noch übrig, dass wir uns auch an die Betreffenden selbst wenden, damit sie es desto bereitwilliger thun. Ich bitte dich also, seiest du nun Mutter, seiest du Schwester, seiest du Tochter, um mich den Altersbezeichnungen gemäss auszudrücken, verschleiere dein Haupt, wenn du Mutter bist, wegen der Söhne, wenn du Schwester bist, wegen der Brüder, wenn du Tochter bist, wegen der Väter! Du bist allen Altersstufen gefährlich. Lege an die Waffenrüstung der Sittsamkeit, ziehe um dich den Wall der Ehrbarkeit, errichte zum Schütze deines Geschlechtes eine Mauer, welche weder deine Blicke heraus noch die Blicke der andern hineinlässt. Nimm die Kleidung des Weibes vollständig an, um den jungfräulichen Stand zu bewahren. Mache eine kleine Lüge in betreff dessen, was drinnen ist, um die Wahrheit für Gott allein zu verwahren. Und doch, dass du vermählt seiest, ist keine Lüge. Du bist ja Christo vermählt, ihm hast du deinen Leib übergeben, ihm die Blüte deiner Jugend verlobt. Trage dich also auch nach dem Willen deines Bräutigams. Christus ist es, der da den Bräuten und Frauen anderer sich zu verschleiern befiehlt, noch viel strenger befiehlt er es jedenfalls seinen eigenen Bräuten.
17. Aber auch an Euch, Ihr Weiber, denen eine Schamhaftigkeit anderer Art Pflicht ist, die Ihr in eine Ehe getreten seid, richten wir unsere Ermahnung, dass auch Ihr die gute Sitte des Verschleierns nicht |375 in Abgang kommen lasset, auch nicht einmal für die kurze Zeit einer Stunde, und dass Ihr nicht, da Ihr den Schleier nicht gänzlich ablegen könnt, ihn auch nicht auf eine andere Weise beseitigt, indem Ihr weder bedeckten, noch blossen Kopfes einhergeht. Einige nämlich bedienen sich der Baschlicks und wollener Binden und verschleiern nicht sowohl ihr Haupt, als dass sie es umwickeln, ihre Stirn ist dann wohl bedeckt, aber das eigentliche Haupt nicht. Andere, vermutlich um den Kopf nicht zu drücken, bedecken sich mit kleinen Leintüchern, die nicht einmal bis zu den Ohren reichen, den Oberkopf. Es thut mir leid, wenn ihr Gehör so schwach ist, dass sie durch eine Umhüllung hindurch nicht hören können. Sie sollten wissen, dass ihr ganzer Kopf ein Weiberkopf ist, seine Grenzen und Enden erstrecken sich bis dahin, wo das Kleid anfängt. So weit als sich das aufgelöste Haar erstreckt, so weit geht das Gebiet dos Schleiers, so dass auch der Nacken umhüllt wird. Denn dieser ist es, der unterwürfig sein soll, um dessentwillen das Weib auch eine Gewalt über seinem Haupte haben muss. 33) Der Schleier ist also das Joch für ihn. Es werden Euch die heidnischen Frauen Arabiens beschämen, welche nicht bloss ihr Haupt, sondern auch das ganze Gesicht derart verhüllen, dass es ihnen genügt, wenn sie ein einziges Auge frei haben und die lieber das Licht nur halb geniessen, als ihr ganzes Antlitz prostituieren. Die Frau will lieber sehen, als gesehen werden. Eine römische Königin nennt sie darum höchst unglückliche Wesen, weil sie Liebe zu empfinden, aber nicht Liebe einzuflössen imstande seien, 34) obwohl sie gerade glücklich sind wegen ihrer Freiheit von dem andern und zwar häufigeren Übel, da Frauen eher geliebt werden als lieben können. Die Sittsamkeit, welche die heidnische Sittenzucht verlangt, ist unverfälschter und sozusagen naturwüchsiger.
Uns hat der Herr auch das Mass der Ausdehnung des Schleiers durch Offenbarungen angegeben. Denn einer von unsern Mitschwestern hat im Traumgesicht ein Engel auf den Nacken geschlagen, als wenn er Gefallen daran hätte, und gesagt: "Ein zierlicher Nacken und mit Fug und Recht unbedeckt! Du thätest gut, dich nun vom Kopfe bis auf die Lenden zu enthüllen, damit dir ja diese Freiheit des Nackens Vorteil bringe." 35) Und was du einer sagst, wirst du sicher allen sagen. Welch' grosse Züchtigung aber werden diejenigen verdienen, 36) die auch beim Psalmengesang und jeder Erwähnung Gottes unbedeckt bleiben! Etwa nicht auch mit Recht? Bei dem eigentlichen Gebete legen sie sich gern einen Zipfel des Gewandes, |376 ein Lappchen oder ein Fädchen um das Haupt und bilden sich dann ein, sie seien verschleiert?! Sie taxieren ihr Köpfchen nicht grösser. Noch andere, deren flache Hand freilich grösser ist als jedes Zipfelchen und Fädchen, verfahren mit ihrem Haupte ebenso verkehrt wie ein gewisses Tier, das, obwohl gefiedert, eigentlich doch kein Vogel ist, das einen kleinen Kopf und einen langen Hals hat und im übrigen hochbeinig einhergeht. Von diesem sagt man, dass es, wenn es sich verbergen muss, bloss den Kopf, allerdings den ganzen, in ein Dickicht stecke, den übrigen Körper aber unbedeckt lasse. Während so sein Kopf in Sicherheit, der grössere Teil aber unbedeckt ist, wird das ganze Tier gefangen mitsamt seinem Kopfe. So wird es auch diesen Personen gehen, die weniger verhüllt sind, als gut ist.
Man muss also jederzeit und überall wandeln im Hinblick auf das Gesetz, bereit und empfänglich sein für jedes Andenken an Gott. Wenn dieser im Herzen der Frauen wohnt, so muss es auch an ihrem Haupte zu erkennen sein. Denen, die dieses in gutem Frieden lesen und dem heilsamen Erfolge vor der Gewohnheit den Vorzug geben, möge Friede und Gnade von unserm Herrn Jesus reichlich zu teil werden mit mir, dem Septimius Tertullianus, welcher dieses Werkchen verfasst hat!
Anmerkungen
1. 1) Wahrscheinlich das, wenig Anklang zu linden.
2. 2) Dieselbe Bemerkung machten mit denselben Worten Mitglieder der karthagischen Synode vom 1. Sept. 256 in Sachen des Ketzertaufstreites. Cfr. Cypriani op. ed. Hartel t. I. pag. 418, Nr. 30.
3. 3) Dieser Satz: Haereses non tam novitas quam veritas evincit verstösst nicht gegen das Präskriptionsprinzip des Autors.
6. 1) Vermutlich in Kleinasien, der Heimat und dem Hauptsitz des Montanismus.
7. 2) Nämlich noch vor den Begründern der Kirchen von Afrika, den sanctissimi antecessores, auf welche im Folgenden mehrfach gestichelt wird.
8. 1) 1.Kor. 11, 5ff. πάσα δὲ γυνὴ προσευχομένη η προφητεύουσα ἀκαταλύπτῳ τῇ κεφάλη. κτλ.
9. 1) 1. Kor. 7, 34. Die Vulgata liest hier freilich anders.
11. 1) In dem Büchlein de testimonio animae.
13. 3) Latinius Emendation scheint hier das richtige zu enthalten. Er tilgt non und setzt et für sed.
24. 1) Welche der Apostel fordert, 1. Tim. 5, 9.
25. 1) Zwei Haarbüschel, die in Form von Hörnchen auf dem Vorderkopfe seitwärts iu die Höhe standen. Vgl. Rich. s. v. Corymbos.
28. 3) Verlobung und Verheiratung geschahen einseitig durch die Eltern.
34. 2) In der römischen Fürstin, die hier gemeint ist, wird Valeria Messalina, die Gemahlin des Claudius, vermutet.
35. 3) Dieses Traumgesicht hat einen solchen Anflug von Frivolität, dass man sich wundern muss, dass ein so ernster Mann, wie Tertullian, ihm irgendwie Bedeutsamkeit beilegen konnte.
36. 4) Die Lesart meritone verursacht Schwierigkeiten. Die Konjektur moraturae von Öhler ist nicht übel, aber wohl zu kühn.
Übersetzt von Heinrich Kellner, 1882. Übertragen durch Roger Pearse, 2005.
Der griechischer Text wird mit mit einem Unicode Schriftkegel angezeigt.
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