Carl Becker, Der ,Octavius' des Minucius Felix, p.74ff

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DIE ENTSTEHUNGSZEIT DES DIALOGES

Es wird wenige philologische Probleme geben, bei denen ein Blick auf den Gang der Forschung so entmutigend ist wie bei der |75 seit hundert Jahren28 diskutierten Frage, ob Tertullian oder ob Minucius Felix der erste christliche Autor der lateinischen Literatur ist. Entmutigend ist nicht die übergroße Zahl von Untersuchungen und Beiträgen, auch nicht das Auseinandergehen der Meinungen, wohl aber die Tatsache, daß immer wieder die gleichen Argumente hin- und hergewendet werden und es keinen Ausweg aus dem Zirkel des Hin- und Hervergleichens und der damit verbundenen Werturteile zu geben scheint.

Nachdem man zunächst von allgemeinen Erwägungen (Situation des frühen Christentums, Stil des Dialoges, Unselbständigkeit des Autors u. ä.) oder von Details aus (etwa der Erwähnung des Thallus in dem ,Zitatennest' 23, 9,)29 eine Entscheidung gesucht hatte, erhielt die Forschung 1910 ein festes Fundament, als Richard Heinze zusammen mit der Analyse des Apologeticum einen Vergleich mit den verwandten Abschnitten im Octavius vorlegte und allenthalben die Priorität Tertullians zu erweisen suchte.30 Der Eindruck dieser Arbeit war so stark, daß Gelehrte wie Eduard Norden oder Johannes Geffcken, die sich entschieden für die andere Auffassung ausgesprochen hatten, von da an für Tertullians Priorität eintraten.31 Aber vor allem durch die Kritik des Minucius-Forschers Jean-Pierre Waltzing, der in diesem Punkte sofort Heinzes Ergebnisse ablehnte,32 und auch andere Gelehrte gewann die Auffassung von der Priorität des |76 Minucius allmählich, wenn auch nicht ohne energischen Widerspruch, wieder an Boden. Als in dieser Lage 1941 Bertil Axelson eine zwar in ihrer Polemik gegen die ,Minucianer' (und in ihrer Kritik an Minucius selbst) sehr weit gehende, an Gesichtspunkten aber reiche und methodisch klare Arbeit vorlegte33 und darin von verschiedenen Seiten her die Priorität Tertullians sichern wollte, hat er wohl nicht einen einzigen Anhänger der anderen Auffassung bekehrt. Seitdem ist gewiß manches Weitere für Tertullians Priorität vorgebracht, mindestens ebenso häufig aber die entgegengesetzte Ansicht vertreten worden. Wer sich heute in der Forschung umsieht, stößt zwar auf manche Befürworter Tertullians,34 zugleich aber auf die zunehmende Neigung, in Minucius den ,ersten lateinischen Apologeten' zu sehen, - oder auf Resignation.35 Für die Philologie ist dieser Stand der Dinge |77 wenig rühmlich. Gewiß sind Prioritätsfragen oft heikel; auch ist beinahe jeder Fall anders gelagert. Bei Autoren etwa, die sich persönlich nahestanden und die eine größere Zahl von Werken verfaßt haben, so daß - wie bei den augusteischen Dichtern - mit gegenseitigem Geben und Nehmen zu rechnen ist, sind solche Fragen bisweilen nicht zu entscheiden (obwohl sich manches auch dort klären läßt). Aber hier kommt ein persönlicher Austausch nicht in Betracht, und bei dem reichen Vergleichsmaterial - die beiden Werke berühren sich über weite Strecken hin in den Formulierungen, in Gesichtspunkten und in Gedankengängen -müßte eine Entscheidung möglich sein. Die Frage ist zu wichtig, als daß man resignieren dürfte.36 Dabei kann die Entscheidung |78 nur den Werken selbst abgewonnen werden; von außen, etwa von zeitgeschichtlichen Anspielungen, ist keine Hilfe zu erwarten.

Beim Vergleich der verwandten Stellen ist das Hauptkriterium gewesen: in welcher der beiden Schriften fügen sich die Gedanken und Wendungen sinnvoll ein, in welcher finden sich Anstöße ? Die glatte, widerspruchsfreie Fassung wäre dann die ,Vorlage', die unausgeglichene die ,Kopie'.37 Immer wieder hat man nach Mißverständnissen, nach Unklarheiten im Gedankengang oder in den Formulierungen gesucht, nach Stellen, wo ,,sich der Nachahmer verrät". Die Voraussetzung, daß bei einer Übernahme Unstimmigkeiten eintreten können, ist methodisch richtig; aber bei Autoren von einigem Niveau werden die Anstöße auch wieder so gering sein, daß das Kriterium im einzelnen wenig hilft. Die Erfahrung hat gezeigt: wer für den so getadelten Autor eingenommen ist, wird nicht nur versuchen, den ,angeblichen' Anstoß zu bestreiten, sondern an eben dieser Stelle dem anderen Autor Unstimmigkeiten nachzuweisen. Die Argumente haben sich daher nur zu oft in die umgekehrte Richtung drehen lassen.38 Man kommt an der Feststellung nicht vorbei, daß Anstöße zwar Aufschluß über Geschick oder Ungeschick bei der Übernahme geben, aber eine Prioritätsfrage nicht entscheiden können; nur nachträglich bestätigen sie, was auf anderen Wegen gesichert ist. Auch führt das Suchen nach Mängeln nur zu leicht zur Einseitigkeit, zur Vernachlässigung des unmittelbaren Zusammenhanges. Selbst Heinze ist dieser Gefahr nicht entgangen. Er hat die Abschnitte der Octaviusrede durchweg mit den entsprechenden Abschnitten des Apologeticum verglichen und dabei ihre Inkonsequenzen, ihre Ungereimtheiten herausgehoben; den |79 Bezug der Octaviusrede zur Caeciliusrede aber hat er nur wenig berücksichtigt.39

In der vorliegenden Arbeit ist versucht worden, zunächst einmal die Zusammenhänge zwischen den beiden Teilen des Dialoges zu betrachten und nur solche Autoren beim Vergleich heranzuziehen, die mit Gewißheit früher sind (Platon, Cicero, Seneca), die Berührungen mit Tertullian aber beiseite zu lassen. Bei dieser Interpretation haben sich manche angefochtenen Stellen ---- etwa in dem Abschnitt über Rom oder in der Zurückweisung der Vorwürfe gegen die christliche Gottesverehrung - im Ablauf der Octaviusrede als sinnvoll, ja notwendig erwiesen. Auch in der Haltung zur Philosophie gibt es keine Widersprüche, die zwingend auf einen fremden literarischen Einfluß hinweisen.40

Daß die Argumente und Gedankengänge ohne eigentliche Anstöße ihren Platz im Ganzen des Dialoges haben, könnte als Beweis für die Priorität des Minucius verwendet werden. Aber es macht wenig Schwierigkeiten, eine Interpretation des Apologeticum danebenzustellen, worin sich ebenfalls alles als sinnvoll erweist. Ein Werk kann eine in sich geschlossene literarische Schöpfung und dennoch von anderen Werken stark beeinflußt sein - fast könnte man die gesamte römische Literatur als Beispiel anführen. So kann der Octavius zunächst auch ohne Bezug auf Cicero oder Seneca verstanden werden (und sollte es nach der Absicht des Autors auch),41 und doch sind deren Schriften in hohem Maße in ihm aufgenommen, freilich in angemessener Weise umgeschmolzen worden. Gegenüber Tertullian könnte Minucius ebenso verfahren sein. Und von den Ergebnissen, die der Vergleich des Octavius mit den heidnischen Autoren bringt, ebenso wie von der voranstehenden Interpretation aus lassen sich |80 Wege für eine Entscheidung der Frage finden, die mit aller Klarheit auf die Priorität Tertullians weisen.

Beim Vergleich mit den Vorlagen zeigt sich nicht nur, daß Minucius kaum je eine Wortgruppe unverändert beibehält, sondern es tritt auch eine bestimmte Technik dieser imitatio heraus. Die verschiedenen Vorlagen - Cicero, Seneca, auch Platon -sind in der gleichen Weise umgeformt; das hat sich an dem Philosophenkatalog (19,3fr.) ebenso gezeigt wie gegenüber anderen Abschnitten von De natura deorum oder gegenüber Senecas Werken De providentia und De superstitione.42 An den Stellen nun, wo sich Minucius und Tertullian berühren, ist die Art der Umgestaltung, die von der Fassung des einen zu der des anderen geführt hat, eng damit verwandt. Einige Beispiele mögen diese Verwandtschaft zeigen.

In der retorsio criminum brandmarkt Tertullian die Bereitwilligkeit, mit der die Heiden bei allen Gelegenheiten Blut vergießen, sei es daß man Bündnisse mit Blut besiegelt oder Götter mit Menschenblut ehrt, das dann Epileptiker zur Heilung schlürfen, sei es daß man Tiere verzehrt, denen in der Arena Menschen vorgeworfen wurden. Dem stellt er die Enthaltsamkeit der Christen gegenüber, die sogar auf das Fleisch von Tieren verzichten, geschweige daß sie von Menschenblut kosten würden (apol. 9,9-13). In dem Abschnitt begegnet manches Drastische.

9 ... defusum brachiis sanguinem et alterutro degustatum nationes quasdam foederi comparasse. nescio quid et sub Catilina degustatum est. aiunt et apud quosdam gentiles Scytharum defunctum quemque a suis comedi.

10    longe excurro. hodie istic Bellonae sacratos sanguis de femore proscisso in palmulam exceptus et usui datus signat.

item illi, qui munere in arena noxiorum iugulatorum sanguinem recentem, de iugulo decurrentem avida siti comitiali morbo medentes hauserunt, ubi sunt?

11    item illi, qui de arena ferinis obsoniis cenant, qui de apro, qui de cervo petunt? aper ille quem cruentavit colluctando detersit, cervus ille in gladiatoris sanguine iacuit. ipsorum ursorum alvei appetuntur cruditantes |81 adhuc de visceribus humanis; ructatur proinde ab homine caro pasta de homine.

12 haec qui editis, quantum abestis a conviviis Christianorum? minus autem et illi faciunt, qui libidine fera humanis membris inhiant, quia vivos vorant? minus humano sanguine ad spurcitiam consecrantur, quia futurum sanguinem lambunt? non edunt infantes plane, sed magis puberes.

13 erubescat error vester Christianis, qui ne animalium quidem sanguinem in epulis esculentis habemus, qui propterea suffocatis quoque et morticinis abstinemus, ne quo modo sanguine contaminemur vel intra viscera sepulto.

Im Octavius 30, 5 stehen die gleichen Beispiele, in der gleichen Abfolge: Catilina - Bellonakult - Epileptiker - Tiere der Arena; auch hier wird damit die christliche Enthaltsamkeit sogar gegenüber Tierblut kontrastiert:

5    ipsum (sc. Iovem) credo docuisse sanguinis foedere coniurare Catilinam, et Bellonam sacrum suum haustu humani cruoris imbuere, et comitiatem morbum hominis sanguine, id est morbo graviore, sanare.48

6    non dissimiles et qui de harena feras devorant inlitas et infectas cruore vel membris hominis et viscere saginatas.

nobis homicidium nec videre fas nec audire, tantumque ab humano sanguine cavemus, ut nec edulium pecorum in cibis sanguinem noverimus.

Gegenüber Tertullian fehlen viele Einzelheiten (und viel Drastisches). Bei aller Ähnlichkeit entsprechen sich nur wenige Wortgruppen genau. Abweichungen in einzelnen Wörtern oder Verbindungen sind etwa: nicht mederi, sondern sanare; nicht item illi qui, sondern non dissimiles et qui; nicht cenant, sondern devorant (bei Tertullian 9,12 vorant, in anderem Zusammenhang). Im ersten Glied berührt sich foedere coniurare mit Tertullians Anfangsbemerkung über ,gewisse Völkerschaften', die Minu-cius beiseite läßt; haurire bezieht sich bei Tertullian auf die Epileptiker, haustus bei Minucius auf den Bellonakult. Im letzten Satz (der bei Tertullian mit finalem ne-, bei Minucius mit konsekutivem ut-nec-Kolon endet) berühren sich ne animalium quidem (Tert.) und nee edulium pecorum (Min.), ebenso sanguinem in |82 epulis esculentis und in cibis sanguinem (mit anderer Wortfolge). Daß Minucius zwischen Bellonakult und Epileptikern nicht die Gladiatoren erwähnt, bringt im Vergleich zu Tertullian eine gewisse Unschärfe (oder Unrichtigkeit) in den Text.44

Dank der retorsio criminum braucht Minucius später auf die ethische Überlegenheit der Christen nur kurz einzugehen (s. oben Seite 53). An dieser Stelle berühren sich beide Apologeten wieder sehr eng:

apol. 44,3 de vestris semper aestuat carcer, de vestris semper metalla suspirant, de vestris semper bestiae saginantur,45 de vestris semper munerarii noxiorum greges pascunt. nemo illic Christianus, nisi plane tantum Christianus; aut si et aliud, iam non Christianus. 

Oct.35,6 . . denique de vestro numero carcer exaestuat; Christianus ibi nullus nisi aut reus suae religionis aut profugus.

Bei Minucius ist die Aussage knapper; nur Tertullians erster und letzter Satz begegnen bei ihm. Darin aber reicht die Entsprechung sehr weit: Worte (aestuare - exaestuare; nemo - nullus ; illic - ibi) und Wortstellung (aestuat carcer ---- carcer exaestuat; nemo illic ---- ibi nullus) sind fast unmerklich variiert. Mit aut . . aut ist die Gliederung bei Minucius gleichmäßiger als bei Tertullian; auch entfallen die Wiederholungen (de vestris ; Christianus).

Größere Gleichmäßigkeit ist für Minucius auch in dem Abschnitt über die Auferstehung kennzeichnend. An der Stelle, wo aus der Natur Beispiele für das ständige Vergehen und Wiederkehren genommen werden, heißt es bei Tertullian (apol. 48,7f.):

tantum corpus hoc mundi .... signatum et ipsum
humanae resurrectionis exemplum in testimonium vobis:
lux cottidie interfecta resplendet
et tenebrae pari vice decedendo succedunt;
sidera defuncta vivescunt;
tempora ubi finiuntur, incipiunt;
fructus consummantur et redeunt;
certe semina non nisi corrupta et dissoluta fecundius surgunt. |83 

Die gleiche Anlage (erst die Ankündigung; dann fünf Beispiele, in denen jeweils das letzte Wort die Wiederkehr ausdrückt) begegnet bei Minucius 34,11:

vide adeo, quam in solacium nostri resurrectionem futuram omnis natura meditetur; 
sol demergit et nascitur; 
astra labuntur et redeunt; 
flores occidunt et revivescunt; 
post senium arbusta frondescunt; 
semina non nisi corrupta revirescunt.

Aber Tertullian hat jede Aussage anders gegliedert als die andere; bei Minucius sind die ersten drei Aussagen parallel angelegt. Das mittlere Beispiel - flores . . -, das sachlich zum Folgenden gehört (und mit seinem Inchoativum revivescunt auch formal darauf vorbereitet), erhält durch die nochmalige et-Gliederung eine Zwischenstellung. Bei Minucius sind die Aussagen knapper: das tenebrae-Glied fehlt, ebenso bei den semina eine Wendung wie et dissoluta (Tertullian gibt damit den beiden Rahmengliedern stärkeres Gewicht). Statt lux heißt es bei Minucius sol (bei Tertullian ist lux wegen der tenebrae nötig), statt sidera heißt es astra. redeunt bezieht Tertullian auf die Früchte, Minucius auf die Gestirne. Die Aussage über die tempora erscheint bei Minucius hier deshalb nicht, weil er den Vergleich mit den Jahreszeiten in den folgenden Sätzen breit entfaltet (gipfelnd in: ex-pectandum nobis etiam corporis ver est) .46 |84

Wie Minucius überhaupt nach Gleichmäßigkeit, nach formaler Ausgeglichenheit strebt, so hat er seine Vorlagen durch eingefügte Vergleiche (oder auch durch das Tilgen einer Übersteigerung) mehrfach konzinner gestaltet:

Plat., Phaed. 89 D ὅταν τοῦτο πολλάκις πάθῃ τις καὶ ὑπὸ τούτων μάλιστα οὓς ἂν ἡγήσαιτο οἰκειοτάτους, τελευτῶν δὴ θαμὰ προσκρούων μισεῖ τε πάντας καὶ ἡγεῖται οὐδενὸς οὐδὲν ὑγιὲς εἷναι τὸ παράπαν. - Oct. 14, 5 itaque, quo saepius adseverationibus credunt, eo frequentius a peritioribus arguuntur; sic adsidue temeritate decepti culpam iudicis transferunt ad incerti querellam, ut damnatis omnibus malint universa suspendere quam de fallacibus iudicare.

Cic. nat. d. II 5, 15 ut, si quis in domum aliquam aut in gymnasium aut in forum venerit, cum videat omnium rerum rationem modum disciplinam, non possit ea sine causa fieri iudicare, sed esse aliquem intellegat qui praesit et cui pareatur, multo magis in tantis motionibus tantisque vicissitudinibus, tarn multarum rerum atque tantarum ordinibus, in quibus nihil umquam inmensa et infinita vetustas mentita sit, statuat necesse est ab aliqua mente tantos naturae motus gubernari. ---- Oct. 18, 4 quod si ingressus aliquam domum omnia exculta, disposita, ornata vidisses, utique praeesse ei crederes dominum et illis bonis rebus multo esse meliorem, ita in hac mundi domo, cum caelo terraque perspicias providentiam, ordinem, legem, crede esse universitatis dominum parentemque ipsis sideribus et totius mundi partibus pulchriorem.47

Sen., prov. 5, 10 ignis aurum probat, miseria fortis viros.

Oct. 36, 9 ut aurum ignibus, sic nos discriminibus arguimur.

Damit in Einklang steht:

apol.48,15 montes uruntur et durant; quid nocentes et dei hostes? 
Oct. 35,3 sicut ignes Aetnaei montis et Vesuvi montis et ardentium ubique terrarum flagrant nec erogantur, ita poenale illud incendium . . .48  |85

Daß die Anlage eines Satzes oder Gefüges beibehalten wird, einzelne Wörter aber durch Synonyma ersetzt werden, daß bei den Verba Kompositum und Simplex ausgetauscht werden, daß einzelne Glieder verschoben werden oder aus einem benachbarten, inhaltlich nicht benutzten Satz ein einzelnes Wort, eine Wendung herausgenommen wird, auch daß im Vergleich zu anderen Autoren Minucius sachlich Unscharfes hat - dergleichen begegnet im Octavius gegenüber Cicero allenthalben; und selbst ihm gegenüber ist er bisweilen um genauere Entsprechung zwischen den Satzgliedern oder ganzen Aussagen bemüht.49

Die Unterschiede zwischen Apologeticum und Octavius sind gleicher Art wie zwischen De natura deorum, oder De providentia auf der einen, dem Octavius auf der anderen Seite. Falls Minucius an Tertullian anknüpft, fügen sich diese Abweichungen zu seiner sonstigen Technik. Er geht dann in seinem ganzen Werk gleichmäßig vor, entnimmt den philosophischen Stoff Autoren wie Cicero, den apologetischen Stoff Tertullian und gestaltet ihn in einer Weise um, wie es seinem Stil und seiner Zielsetzung entspricht. Daß lateinische Vorlagen dominieren, war bereits bei den philosophischen Abschnitten herausgetreten (oben Seite 19). Sucht man sich den umgekehrten Weg vorzustellen, so gerät man bei beiden Autoren in Nöte. Denn falls Minucius der Frühere war, wäre nicht nur er in den apologetischen Abschnitten seiner Schrift in einer Weise vorgegangen, die ihm sonst fremd ist, sondern auch Tertullian wäre sich untreu geworden. Wie frei dieser mit seinen Vorlagen schaltet, haben neuere Forschungen -etwa der De-anima-Kommentar von J. H. Waszink (1947)50 ---- |86 immer mehr herausgearbeitet. Es gibt in dem umfänglichen Werk Tertullians keine Schrift, in der er eine Vorlage so behutsam umgeformt hat, wie er das hier mit dem Octavius getan haben müßte. Selbst in Ad nationes, seinem frühesten apologetischen Versuch, bei dem er sich von dem Einfluß der griechischen Vorgänger (und dem Einfluß Varros) noch nicht frei gemacht hat,61 schließt er sich weit weniger eng an diese an. Bei den späteren Schriften, in denen er Marcion oder Gnostiker bekämpft (Adversus . . .) oder seine radikalen Lehren und Forderungen durchzusetzen sucht, scheidet ein solcher Anschluß erst recht aus. Beim Apologeticum selbst aber ist das souveräne, freie Verfügen über alle Überlieferung von Anfang bis Ende wie mit Händen zu greifen. An Sorgfalt bei der Gestaltung des einzelnen hat es Tertullian gewiß nicht fehlen lassen. Er war von einem Streben nach stilistischer Vollendung besessen wie wenige Autoren sonst, und hinter seiner leidenschaftlichen, ebenso nuancenreichen wie pointierten Sprache steht rastlose, verbissene Arbeit; das Verwerfen und Verbessern, das Feilen am einzelnen Ausdruck und das Bemühen um die Komposition des Ganzen läßt sich dank der Gunst der Überlieferung noch erkennen. Aber eine fremde Vorlage unauffällig umzubilden, aus benachbarten Sätzen einzelne Wörter zu Neuem zusammenzufügen und, unter größter Schonung des Materials,52 einen Gedankengang in eine neue Richtung |87 zu lenken, das alles widerspricht Tertullians Temperament von Grund auf. Minucius aber ist nicht nur gegenüber den Schriften Ciceros und Senecas so verfahren, sondern auch gegenüber seinem eigenen Werk, als er die Reden des Heiden und des Christen mit aller Sorgfalt aufeinander abstimmte.53

Von der ciceronischen Grundlage unterscheidet sich der Octavius bisweilen dadurch, daß das Werk Platons bei ihm stärker heraustritt - ein ,platonisches' Zwischengespräch kam hinzu, der Philosophenkatalog zielte statt auf die Stoa auf Platon (vgl. oben Seite 14). Vergleichbar damit ist es, daß sich an mehreren Stellen das Material von Apologeticum und Octavius deckt, bei Minucius aber Platon in den Vordergrund rückt. Apol. 14,2ff und Oct. 23,1 ff. werden die unwürdigen Götterdarstellungen der Dichter durchmustert. Tertullian setzt bei Homer ein: an dem ältesten, angesehensten Dichter zeige sich, wie wenig die Dichter ihre Götter achten. Minucius bringt fast die gleichen Beispiele; aber an die Spitze stellt er einen Hinweis auf Platon: "Daher hat Platon den Homer aus dem von ihm gegründeten Staat vertrieben; Homer nämlich . .", und erst nach der Berufung auf diese Autorität führt er die Iliasszenen vor.54 Ähnlich in dem |88 Abschnitt über die Dämonen (apol. 23; Oct. 26,7; 27,1): bei Tertullian wird Platon zusammen mit anderen kurz erwähnt; Minucius stellt ihn ans Ende und zitiert ausführlich eine Stelle aus dem Symposion. In der gleichen Weise schloß im Philosophenkapitel - anders als bei Cicero ---- Platon nicht nur den Katalog |89 ab, sondern kam auch mit einer längeren Timaiosstelle zu Wort (19,14). In dem Abschnitt über die Seelenwanderung (apol. 48,1; Oct. 34,6) erwähnt Tertullian nur den Pythagoras,während es bei Minucius heißt: Pythagoras primus et praecipuus Plato. Die Analogie mit den Stellen aus Cicero spricht dafür, daß es Minucius war, der ebenso wie in die philosophischen auch in die apologetischen, tertullianischen Abschnitte das Platonische eingefügt hat. Wäre Tertullian der Spätere, müßte er das Platonische mit schwer begreiflicher Konsequenz ausgeschieden oder zurückgedrängt haben.

Minucius hat die ciceronische Grundlage nicht nur durch Platonisches, sondern auch durch manches Virgilische erweitert. So hatte Cicero sich für die Herrschaft eines einzelnen - in Sci-pios Königsrede - nur auf Arat berufen; Minucius läßt dies in zwei Virgilzitaten gipfeln (19,2). Ähnlich unterscheidet sich Minucius auch von Tertullian dadurch, daß er in |90 Beispielreihen mehr Virgilisches aufweist.55 In der Dichterkritik decken sich die griechischen Beispiele zumeist mit Tertullian (apol. 14,2ff.), aber ohne Entsprechung bleibt am Ende das Aeneis-zitat (Oct. 23,6; vgl. oben Seite 35); ähnlich im Abschnitt über Saturn (apol. 10; Oct. 23,9ff.).56 Für die genannten Entsprechungen schließlich noch ein Beispiel anderer Art, das die Argumentationsformen betrifft. Den Überblick über die Philosophen, der bei Cicero die Vielheit und Torheit dieser Meinungen zeigen sollte, benutzt Minucius dazu, diese Philosophen als Zeugen für den Einen Gott zu beanspruchen; in ganz ähnlicher Weise soll Tertullians triumphierender Beweis aus den spontanen Ausrufen der Menschen (O testimonium animae naturaliter Christianae!', apol. 17,6 ---- die Menschen wissen von Natur aus um Gott) bei Minucius als Zeugnis dafür dienen, daß die Menschen nur Einen Gott kennen. An den stilistischen Einzelheiten, an dem Hang zu Autoren wie Platon oder Virgil und an einer solchen Argumentation fassen wir die Technik und die Denkweise des Minucius, die sich gegenüber Cicero-Seneca (oder Platon) in der gleichen Weise durchsetzen wie gegenüber Tertullian.

Was sich bisher von der Imitationstechnik des Minucius aus ergeben hat,57 bestätigt sich durch eine davon unabhängige Betrachtung. In der Forschung ist mehrfach darauf hingewiesen worden, daß im Octavius Wendungen und Gedanken, die auch im |91 Apologeticum begegnen, mit Stellen aus Cicero oder anderen heidnischen Autoren verschmolzen sind;58 wäre Tertullian der Spätere, müßte er diese heidnischen Elemente ausgeschieden und sich allein an das gehalten haben, was Minucius ihnen hinzugefügt hatte. Derartige Beobachtungen sind bisher von Stellen ausgegangen, wo sich Tertullian und Minucius berühren; sie lassen sich von Stellen aus ergänzen, wo der Dialog einer heidnischen Vorlage folgt.

In c. 19 mußte Minucius den Epikur, der in der Velleiusrede ausgesondert war, in den Überblick über die griechische Philosophie einbeziehen (s. oben Seite 13; 17). Er charakterisiert ihn: Epicurus ille, qui deos aut otiosos fingit aut nullos (19,8). Diese Wendung berührt sich eng mit apol. 47,6. Dort führt Tertullian die weit voneinander abweichenden Gottesvorstellungen der Philosophen vor (nicht systematisch; seiner Art entsprechend greift er einzelnes heraus).59 Dabei heißt es: et Platonici quidem curantem rerum, contra Epicurei otiosum et inexercitum et, ut ita dixerim, neminem humanis rebus. War Tertullian der Spätere, dann hätte er aus c. 19 die einzige Charakteristik herausgegriffen, die Minucius von sich aus in die Cicerovorlage eingefügt hat, alle anderen, ciceronischen aber hätte er beiseite gelassen. War dagegen Minucius der Spätere, dann hat er an dieser Stelle, |92 wo ihn die ciceronische Vorlage im Stich ließ, das Werk Tertullians ein weiteres Mal benutzt, so wie er es sonst für die apologetischen Abschnitte heranzog. Die kleinen Änderungen (Plural statt Singular; Reduzierung der drei Aussagen auf zwei: otiosum et inexercitum et neminem humanis rebus zu aut otiosos aut nullos; Ersatz von et durch aut) stehen bei ihm nicht allein. Bei der Straffung ist der Ausdruck freilich mißverständlich geworden ----Tertullian ergänzt neminem durch humanis rebus (entsprechend dem vorangehenden rerum) und schwächt es obendrein durch ut ita dixerim ab, Minucius sagt schlicht nullos. Auch das begegnete, gegenüber Cicero, gerade in c. 19. Diese Anlage, dieses ganze Verfahren weist wiederum auf Tertullians Priorität. Die wertenden Zusätze zur Doxographie ---- dort wo Minucius den Spott des Epikureers ausscheidet und statt dessen die Übereinstimmung zwischen philosophischer und christlicher Anschauung heraushebt - berühren sich ebenfalls mehrfach eng mit Tertullian.60 Daß Tertullian das Kapitel gründlich analysiert, dabei alles, was aus Cicero stammt, beiseite gelassen und sich völlig an die Zusätze des Minucius gehalten hätte, stünde zu seinem Temperament wieder in krassem Widerspruch (ohnedies macht es einige Schwierigkeiten, sich ein solches Verfahren vorzustellen). Dagegen ist behutsames Zusammenarbeiten ---- bei dem für Variation, Straffung, Umakzentuierung Raum bleibt - für Minucius durchweg kennzeichnend. Auch pflegt er, sobald ihn die Vorlage im Stich läßt, sich nicht seiner eigenen Phantasie zu überlassen, sondern nach einer anderen, angemesseneren Vorlage zu |93 suchen ---- daher etwa das platonische Zwischengespräch in einem ciceronischen Dialog (oben Seite 70 f.).61

Was im einzelnen zu beobachten ist, gilt ebenso für das Ganze. Hier ist die Stelle, an der sich die Untersuchung über die Priorität mit der vorangehenden Interpretation des Dialoges zusammenschließt.62 Bei dieser Interpretation ergab sich, daß die Octavius-rede an mehreren Stellen - jeweils mit innerer Notwendigkeit -über die Caeciliusrede hinausging. Caecilius hatte die providentia bezweifelt; Octavius bewies nicht nur, daß die Welt von providentia gelenkt sei, sondern auch, daß es bei dieser Ordnung nur Einen Gott geben könne. Caecilius hatte mit dem Alter und der Verbreitung der Göttervorstellungen argumentiert; Octavius entkräftete nicht nur diese Argumente, sondern rechnete zugleich mit der heidnischen Götterwelt selbst ab und entlarvte die Götter als bloße Götterbilder. Caecilius hatte von der Götterfurcht der Römer gesprochen und sich in diesem Zusammenhang auf die Vorzeichen berufen; Octavius verstand religio in ganz weitem Sinne, wobei der römische Anspruch in sich zusammenfiel, und entwertete die Vorzeichen nicht nur durch Gegenbeispiele, sondern entwickelte zur Widerlegung eine ganze Dämonologie (obendrein bezog er die Christenprozesse ein, auf die Caecilius nicht eingegangen war). All diese zusätzlichen, bei Caecilius nicht ausdrücklich angelegten Abschnitte im ersten Teil der Octaviusrede werden mit Material bestritten, das sich mit Tertullian so eng berührt wie die übrigen, jeweils vorangehenden Abschnitte der Rede mit Cicero (oder Seneca).63 Der |94 Übergang von dem philosophischen in den apologetischen Vorlagenbereich drängt sich bisweilen fast auf, etwa bei der Dämonologie (oben Seite 43). In jedem dieser Abschnitte sind die Abweichungen von Tertullian gleicher Art wie sonst die Abweichungen von Cicero. Da der zweite Teil der Reden auf die Christen bezogen ist, muß das Verhältnis in ihm umgekehrt sein: das Apologetische bildet die Grundlage, die (moral-) philosophischen Abschnitte kommen hinzu. Aber auch hier stehen die Entsprechungen zu Tertullian mit denen zu Seneca auf einer Linie.64 Wieder ist die Richtung der Übernahme deutlich; die Verknüpfung von Cicero-Seneca mit Tertullian ist - im einzelnen wie im großen ---- das Werk des Minucius. So spricht alles für die Priorität Tertullians und damit für die Entstehung des Octavius nach dem Jahre 197.

Die Verbindung von Philosophischem und Apologetischem ist über die Priorität hinaus für die Entwicklung der ganzen frühen Apologetik wichtig. Aber bevor das erörtert werden kann, muß die Entstehungszeit des Dialoges noch genauer bestimmt werden. Schwerlich wird er sofort nach 197 entstanden sein. Denn er ist so gut wie sicher in Afrika abgefaßt,65 und es hat wenig für sich, daß das sozusagen unter Tertullians Augen, zu einer Zeit als dieser noch in hohem Ansehen stand, geschah. Aber davon abgesehen: vor 212, vor der Verfolgungsaktion, in der Tertullian das Apologeticum noch einmal einer Bittschrift an den Statthalter Scapula zugrunde legte, ist er kaum anzusetzen. Im Hintergrund des Gespräches66 steht keine |95 ungewöhnliche Bedrohung. Auf blutige Verfolgungen, auf Anklagen wegen Unterlassung der Kaiserverehrung, auf Anschuldigungen, daß die Christen an allem Unglück schuld seien, geht Minucius fast überhaupt nicht ein.67 Auch die Abschnitte über das Martyrium wirken nicht so, als seien sie unter dem unmittelbaren Eindruck von Foltern oder Hinrichtungen geschrieben;68 Senecas literarisches Werk hat darauf größeren Einfluß als solches Geschehen. Bezeugt ist das Werk erst in den von 304 an entstandenen Divinae Institutiones des Laktanz. Damit kommt zunächst das ganze dritte Jahrhundert für die Abfassung in Betracht; durch den Bezug zu Cyprian läßt sich dieser Zeitraum jedoch einengen.69 In jenen Werken Cyprians, deren Echtheit unbestritten ist, berührt sich manches so eng mit Minucius, daß ein unmittelbarer Zusammenhang bestehen muß. In der Schrift Ad Donatum wird ein Dialog skizziert (Ferien, Zeit der Weinlese, Gespräch über einen ganzen Tag hin). Aber außer den Hinweisen am Anfang und am Ende fehlt alles Dialogische; in der Schrift ist die christliche Lehre dargestellt, es werden mehrere Lebensbereiche betrachtet, in denen die heidnische Verworfenheit besonders schlimm ist. Die Form des literarischen Briefes läßt von dem Dialog gewissermaßen nur den einen, christlichen Teil übrig. Die Entscheidung über die zeitliche Abfolge wird von mehreren Seiten her möglich. Bei einzelnen Motiven ergibt sich die Abfolge: Seneca ---- Minucius ----Cyprian bzw. Tertullian - Minucius - Cyprian; auch das Zwischengespräch des Octavius (nach dem Phaidon) wirkt herein.70 Und allgemein ist zu |96 sagen: der Octavius bot sich für eine Umformung in ein solches Sendschreiben geradezu an; der umgekehrte Weg dagegen, wonach Cyprians Schrift ein Bindeglied zwischen Cicero und Minucius wäre, ist kaum denkbar (fast könnte man von den anderen Argumenten absehen). Die Schrift Ad Donatum wird bald nach Cyprians Übertritt zum Christentum (246) entstanden sein, vor der decianischen Verfolgung. Harnack datierte sie auf 246; selbst wenn die folgenden Jahre (bis 249) nicht auszuscheiden sind, ist damit doch der Zeitraum für den Octavius genauer als nur von Laktanz her eingegrenzt.71 - Da es hier nur um die Zeit des Octavius, nicht um Cyprian geht, sei dem Einfluß des Minucius auf ihn nicht weiter nachgegangen.

Weit enger als mit Ad Donatum (oder anderen Schriften Cyprians) berührt sich der Octavius mit Quod idola dii non sint. Die Frage, ob Cyprian der Verfasser des Traktates ist (der unter seinem Namen überliefert, aber in frühen Verzeichnissen seiner Schriften nicht aufgeführt ist), ist in den letzten Jahren wieder aufgelebt.72 Neben anderen Argumenten spricht es gegen Cyprians Verfasserschaft, daß der Octavius hier in völlig anderer Weise benutzt ist als in den mit Sicherheit echten Schriften Cyprians. Ebenso wie die Herkunft von Cyprian muß die Entstehung vor Minucius ausscheiden.78 Das Verhältnis des Traktates zu Apologeticum und Octavius ist gleicher Art; Quod idola muß daher nach beiden Schriften entstanden sein (methodisch gilt das gleiche wie vorhin beim Octavius, der zu Ciceros und Senecas Werken im gleichen Verhältnis steht wie zum Apologeticum, so daß auch dieses dem Octavius vorausgehen muß). Da der Traktat wohl nicht nur nach Cyprian, sondern sogar erst nach Laktanz entstanden ist,74 verliert er für die zeitliche Festlegung des Octavius freilich seinen Wert. Aber er wird in anderem Zusammenhang wichtig: er kann lehren, was ein ,bloßes Mosaik', allgemeiner was ,Musivkunst' ist, womit man den Octavius so oft charakterisiert hat. Beim Vergleich mit diesem Traktat tritt die Selbständigkeit des Minucius noch einmal scharf heraus. Die Vorlage zu durchdringen, sie auf neue Gesichtspunkte hinzuordnen, liegt dem anonymen Verfasser fern. Vielfach schreibt er sie wörtlich aus, meidet aber ungewöhnliche Ausdrücke oder Konstruktionen und variiert auch sonst gelegentlich; manches |97 strafft er.75 Der wörtliche Anschluß an die Vorlage hat auch sein Gutes. Die Art, wie Minucius mit seinen Vorlagen umgeht, macht es beinahe unmöglich, aus seinem Werk etwas für deren Textherstellung zu gewinnen; Quod idola dagegen hilft an mehreren Stellen, den schlecht überlieferten Text des Octavius wiederherzustellen oder zu ergänzen.76

Der Zeitraum, der für die Abfassung in Betracht kommt, umfaßt mehrere Jahrzehnte (zwischen 212 und 246/49) und läßt sich schwerlich weiter einengen. Aber mit der Festlegung auf ein bestimmtes Jahr wäre auch nicht viel gewonnen. Wichtiger ist es, dem Dialog seinen Platz in der Entwicklung der frühen lateinischen Apologetik zu geben.


28  Nach manchen früheren Hinweisen - etwa der Epistola Io. Dan. ab Hoven 1766 (abgedruckt in Lindners Ausgabe 17732, 261-313) - setzte die eigentliche Erörterung des Problems ein mit der Abhandlung von A. Ebert, Tertullians Verhältnis zu Minucius Felix, Abh. d. Sachs. Ges. d. Wiss. 5, 1868. Vgl. Ebert, Geschichte der christl.-lat. Literatur, Leipzig 1874, 24 ff.

29  Etwa bei E. Norden, De Minucii Felicis aetate et genere dicendi, Programm Universität Greifswald 1897, 10. Auch A. v. Harnack, Geschichte der altchristl. Literatur 2, 2, Leipzig 1904, 324-30 verzichtete auf philologische Vergleiche.

30 Tertullians Apologeticum. Sitz. Ber. d. Sächs. Akad. d. Wiss. Leipzig 62 (Heft 10), 1910, 279-490.

31  Dazu Axelson 11 f.

32  Musee Belge 15, 1911, 192 fr.; dann vielfach in seiner Etüde sur le Codex Fuldensis de l'Apologetique de Tertullien, Liege-Paris 1914-17. Vgl. C. Synnerberg, Die neuesten Beiträge zur Minucius-Literatur, Helsingfors 1914 (Öfversigt af Finska Vetenskaps-Societetens Förhandlingar 46, 1913/ 14, B 2), 10 ff.

33  Das Prioritätsproblem Tertullian-Minucius Felix. Lund 1941 (Skrifter utgivna av vetenskaps-societeten Lund 27).

34  Einzelne Argumentationen und Hinweise etwa bei B. Axelson, Gno-mon 24, 1952, 423 f.; Becker 309-32 (vgl. meine zweisprachige Ausgabe des Apologeticum, München 19612, 46 f.); Büchner 237-45; J-H. Waszink, VChr 8, 1954, 129 f. Auch in den Minucius-Kommentaren von Pellegrino und Beaujeu wird nicht mehr - als hinge der Wert der Schrift von dieser Entscheidung ab - die Priorität des Dialoges vertreten.

35  Eindruck machte ein Aufsatz von R. Helm (bei Axelson 1313 bereits angekündigt), Zwei Probleme der Kritik II: Wiss. Ztschr. d. Univ. Rostock 2 (Gesellschafts- u. Sprach wiss.), 1953, 88-91. Lebhaft zustimmend E. Bik-kel, Lehrbuch der Geschichte der römischen Literatur, Heidelberg 19612, 308 (im Anschluß an eigene frühere Äußerungen; dazu Axelson 1216). Doch sind die beiden Argumente Helms: die Form der Anspielung auf Fronto deute auf einen Zeitgenossen dieses Redners, und nach Marc Aurel und Verus bzw. Commodus könne eine Gemeinschaft zweier Herrscher nicht mehr als unmöglich hingestellt werden (Oct. 18, 6), bereits von Monceaux 474, dann noch einmal eingehend von Axelson 25-27 entkräftet worden (Axelsons Buch ist bei Helm nicht herangezogen). Für Minucius etwa auch C. Schneider, Geistesgeschichte des antiken Christentums 2, München 1954, 22 ("endgültig nachgewiesen in der hervorragenden Arbeit von R. Beutler" - bei Beutler stand anderes im Vordergrund); W.Krause (oben Seite 1835) 17. 256 f. u. a. A. Wlosok läßt im Artikel ,Minucius Felix' des Lexikons der Alten Welt (1965) die Frage offen, neigt aber in ihrer Untersuchung , Laktanz und die philosophische Gnosis' (Abh. Akad. Heidelberg i960) zur Priorität des Minucius. Für Minucius zuletzt auch K. Abel, Gnomon 37, 1965, 736. In Italien bemüht sich S. Rossi, Einwänden immer wieder sogleich begegnend, seit einigen Jahren um den Nachweis, der Octavius sei zwischen 140 und 150/60 entstanden: Giornale italiano di filologia 12, 1959, 289-304 (L',Octavius' fu scritto prima del 161); 15, 1962, 193-224 (,Feriae vindemiales' e ,feriae iudiciariae' a Roma); 16, 1963, 17-29 (Minucio, Giustino e Tertulliano nei loro rapporti col culto di Mitra); 293-313 (Ancora sul1',Octavius' di Minucio Felice). Auch in der hervorragenden Darstellung der ,Lateinischen Kirchenväter' von H. v. Campenhausen (Stuttgart i960) wird mit der Priorität des Minucius gerechnet (12 "Es sieht wenigstens so aus, als neige sich die Waage im alten Prioritätsstreit heute zu seinen Gunsten und gegen den Vorrang seines Berufskollegen Tertullian"; vgl. 17). H. Kraft geht in dem Buch ,Die Kirchenväter' (Bremen 1966) auf Minucius nicht ein und läßt im »Kirchenväter-Lexikon' (München 1966, 379) die Entscheidung offen: "Ob Minucius Felix oder Tertullian die Priorität zukommt, ist eine Frage, die trotz aller darauf verwandter Mühe nicht entschieden werden konnte. Bisher hat noch niemand Gründe gefunden, die einen Vertreter der entgegengesetzten Meinung überzeugt hätten." Vgl. J. Quasten, Patrology 2, Utrecht-Antwerpen 1953, 159 ("the vexed question of priority has created a long discussion among scholars, which is very far from being settled"). E. Dekkers reiht in der Clavis Patrum Latinorum, Steenbrugge 19612 (Sacris Erudiri 2), zwar Minucius nach Tertullian ein, bemerkt aber, das Umgekehrte sei vielleicht wahrscheinlicher (,fortasse maiore cum probabilitate').

36 Solange diese Frage nicht entschieden ist, stößt auch die Kommentierung der Schrift auf große Schwierigkeiten. In vieler Hinsicht ist eine solche Kommentierung freilich mindestens ebenso eine theologische wie eine philologische Aufgabe (bezeichnend ist es, daß E. Norden auf den Kommentar, den er in der Antiken Kunstprosa 2, 1898, 605 angekündigt hatte, im Hinblick auf die theologischen Probleme verzichtete: GGA 1904, 294 = Kl. Schriften 198; ebenso in den Nachträgen zur ,Antiken Kunstprosa' seit 1909).

37  So definierte etwa Heinze das ,Hauptkriterium' (291): "Wo Einheitlichkeit der Auffassung, Konsequenz der Durchführung, Zusammenhang der Gedankenentwicklung sich findet, wird man das Original, dagegen wo Schwanken, Unklarheit und Widerspruch, Kontamination verschiedener Gesichtspunkte sich zeigt, wird man die Kopie zu erkennen haben" (dazu Becker 311 f.). Bei einem solchen Vergleich rücken Werturteile notgedrungen in die Mitte (vgl. Axelsons vernichtende Urteile über den Dialog, z. B. 122).

38  Hierzu vor allem Harnack (oben Anm. 29), bes. 326.

39  Heinze konzentrierte sich auf die Abschnitte, in denen sich der Octavius mit Tertullian berührt und fragte daher auch nicht nach ihrer Stellung innerhalb beider Reden. Ein Prioritätsproblem läßt sich nur selten bei solcher Isolierung, solcher Beschränkung auf die ,Entsprechungen' lösen.

40  Wie sehr dieses Dilemma zur Apologetik gehört, ist vielfach erörtert worden (vgl. oben Seite 67 f.).

41  Die Frage ist grundsätzlich für die Beurteilung von imitationes (auch außerhalb der römischen Literatur) von Bedeutung. Im Zusammenhang mit einem etwaigen Bezug des Octavius auf den taciteischen Dialogus war sie oben Seite 6188 zu berühren.

42 Außer dem hier im Text Gesagten vgl. etwa Seite lof.; 248; 3640; 4048; 5578; 6085. Die Änderungen gegenüber der Vorlage sind z. T. deshalb so eingehend charakterisiert worden, damit dieses Verfahren des Minucius heraustritt und die Erörterung über die Priorität daran anknüpfen kann.

43 Die Erläuterung (id est) entspricht der ganzen behutsamen Art des Minucius. Wenn Tertullian einen Ausdruck kommentiert, hat das andere Wucht und wirkt bösartiger.

44  Zu solchen sachlichen Unrichtigkeiten bei Minucius vgl. Seite 15 und Seite 92.

45 Aus dieser Stelle stammt saginare Oct. 35,6.

46 In dem langen Vergleich, der von Erscheinungen der Natur aus die Auferstehung verdeutlichen soll, heißt es 34, 11: ita corpus in saeculo, ut arbores in hiberno; occultant virorem ariditate mentita. Charakterisiert wird die Zeit zwischen Tod und Auferstehung, wie auch das folgende revivescat et redeat und die ganze Umgebung zeigt. Aber kann diese Phase - solange die Zeit hier noch dauert - durch saeculum ausgedrückt werden (zu dem Wort E. Löfstedt, Syntactica 2, 1933, 470-73)? Mit dem Folgenden ist das schwer zu vereinbaren; und im geläufigen christlichen Sinn (o( ai0w_n ou]toj) begegnet in saeculo einige Zeilen später (die Wiederholung an sich ist nicht auffällig, wohl aber daß die Wendung kurz nacheinander in verschiedenem Sinn erscheint). Das legt es nahe, statt saeculo zu schreiben sepulcro (vorgeschlagen schon von C. A. Heumann). ---- omnis natura hatte Minucius auch 17,4 in die (Cicero-) Vorlage eingefügt und damit die folgende Aussage besser vorbereitet (s. oben Seite 248).

47  Damit steht es in Einklang, daß an der vorigen Stelle (34,11) die ter-tullianische Steigerung fecundius surgunt ohne Entsprechung bleibt. Ähnliches bei apol. 48,5 - Oct. 34,9.

48  Mit Austausch zugleich der aktiven und passiven Formen, ähnlich wie an der Senecastelle (und gegenüber fin. II, oben Seite 85), Ersetzung von ut durch nec, Verdeutlichung der montes. - Ähnlich bei einer Dämonenstelle, apol. 22,2 utriusque nominis testes esse vel magi adsunt - Oct. 26,10 magi quoque non tantum sciunt daemonas, sed etiam quidquid miraculi ludunt, per daemonas faciunt (hinter quidquid miraculi steht apol. 23,1: porro si et magi phantasmata edunt et iam defunctorum infamant animas, si . ., si . ., si . .: quanto magis ea potestas de suo arbitrio et pro suo negotio studeat totis viribus operari quod alienae praestat negotiationi! Im Octavius fehlt die Reihung, ebenso die Steigerung). - Nur mit Zurückhaltung kann

man die ,römischen' Zusätze als Argument ansehen, etwa die Tatsache, daß Tertullian nur von montes spricht (apol. 48,15), Minucius von ignes Aetnaei montis et Vesuvi montis (Oct. 35,3), daß Minucius 5, 12 zu den Beispielen Ciceros noch Camillus, 37,5 zu den Beispielen Senecas noch Aquilius hinzufügt (vgl. oben Seite 1937 Britannien, zu Cicero). Das entspricht gewiß dem Bemühen des Minucius um römische ,Atmosphäre'; aber aus Gründen des Zusammenhanges, der Pointierung usw. besitzt gelegentlich auch Tertullian ein Mehr an römischen Elementen. Auf eine Formel läßt sich das nicht bringen.

49 Dies alles ist für den Stil des Minucius im ganzen wichtig. Doch kann hier seine literarische Technik nur so weit berührt werden, wie es für die Prioritätsfrage von Belang ist.

50 Zu der Selbständigkeit auch in De anima vgl. Gnomon 25, 1953, 49f.

61 Dazu M. Haidenthaller, Tertullians zweites Buch ,Ad nationes' und De testimonio animae, Paderborn 1942 (Studien z. Gesch. u. Kultur d. Altertums 23,1-2), 56fr. Vgl. Becker 71 ff.

62 Daß sich in dem Philosophenkapitel das Material mit Cicero deckt, könnte freilich eine Ausnahme sein. Aber auch in den anderen ,ciceronischen' Kapiteln hält sich Minucius an die Beispiele und Kategorien der Vorlage (das Fehlen einer ciceronischen Entsprechung zu Britannien fiel daher 18,3 so sehr auf; dazu oben Seite 1937). Ähnlich decken sich bei den christlichen Greueln die Beispiele im großen ganzen mit Tertullian (nur die Menschenopfer 30,4, die Geschwisterehe 31,1 kommen hinzu - im Gesamtbild nur geringfügige Abweichungen). ---- Die Reihenfolge freilich weicht bei Minucius von der Vorlage ab. Für c. 19,3 ff. ist das früher betrachtet worden (oben Seite 12ff.). Ebenso steht es bei der Abrechnung mit den Heiden: Tertullian behandelt in c. 16 nacheinander Eselskopf, Kreuz, Sonne, Onokoites, in c. 9 Kindermord (und Bluttrinken), Inzest; Minucius dagegen in c. 9, 3ff. und 28,7 ff. Eselskopf - virilia - homo noxius - Kreuz, Kindesmord, convivia.

63 Daß es nicht möglich ist, hinter Caecilius Fronto zu sehen und eine von diesem gehaltene Rede (vor Gericht?) als Grundlage von c. 5ff. anzusehen, hat Boissier 268 ff. gezeigt.

54 Da an dieser Stelle das, was für beide Autoren charakteristisch ist, und ebenso die Technik, mit der Minucius Vorlagen umgestaltet, besonders klar heraustritt, seien zur Verdeutlichung der oben im Text besprochenen Beispiele die Abschnitte hier im ganzen nebeneinandergestellt:

TERTULLIAN MINUCIUS
sed conversus ad litteras vestras, 
quibus informamini ad prudentiam 
et liberalia officia,
quanta invenio ludibria!
has fabulas et errores et ab inperitis 
parentibus discimus et, quod est 
gravius, ipsis studiis et disciplinis
elaboramus, carminibus praecipue
poetarum, qui plurimum quantum 
veritati ipsi sua auctoritate no-
cuerunt.
et Plato ideo praeclare Homerum il-
lum inclytum laudatum et coro-
natum de civitate, quam in sermone 
instituebat, eiecit.
deos inter se propter Troianos et 
Achivos ut gladiatorum paria con-
gressos depugnasse;
hic enim praecipuus bello Troico 
deos vestros, etsi ludos facit, tamen 
in hominum rebus et actibus mis-
cuit, hic eorum paria composuit,
Venerem humana sagitta sauciatam, 
quod filium suum Aenean paene 
interfectum ab eodem Diomede 
rapere vellet;
sauciavit Venerem,
Martem tredecim mensibus in vin-
culis paene consumptum;
Martem vinxit, vulneravit, fugavit.
Iovem, ne eandem vim a ceteris cae-
litibus experiretur, opera cuiusdam 
monstri liberatum,
Iovem narrat Briareo liberatum, ne 
a diis ceteris ligaretur,
et nunc flentem Sarpedonis casum, et Sarpedonem filium, quoniam morti 
non poterat eripere, cruentis im-
bribus flere,
nunc foede subantem in sororem sub 
commemoratione non ita dilecta-
rum iam pridem amicarum.
et loro Veneris inlectum flagrantius, 
quam in adulteras soleat, cum 
Iunone uxore concumbere.

EXINDE quis non poeta ex auc-
toritate principis
sui dedecorator 
invenitur deorum ?



ALIBI Hercules stercora egerit et 

hic Apollinem Admeto regi pascen-
dis pecoribus addicit;

Apollo Admeto pecus pascit.
ille Neptuni structorias operas Lao-
medonti locat.
Laomedonti vero muros Neptunus 
instituit, nec mercedem operis in-
felix structor accepit.

. . Aesculap, Blitz.

. . Blitz, Waffen des Aeneas.

Im Wortlaut deckt sich kaum etwas; am nächsten kommen sich die Iovem-Erwähnungen (die Abweichungen sonst sind die üblichen, etwa a ceteris caelitibus - a diis ceteris; Vertauschung Aktiv-Passiv, wie es von der Sache her gegeben ist). Einzelne Wendungen rücken in einen neuen Zusammenhang; so verwendet Minucius die ,auctoritas' der tertullianischen Homeraussage gleich am Eingang (dort bringt er auch die veritas herein); in der Erweiterung des Neptunglieds ist der Zusammenhang mit Tertullian deutlich (structorias operas . . locat ---- nec mercedem operis . . struetor accepit). - Das Material ist fast genau das gleiche, ebenso die Reihenfolge der Beispiele; Tertullian hat einige Einzelheiten mehr (auch in c. 19 hatte Minucius die Cicerovorlage gekürzt); bei Minucius ist nur das nicht allzu fernliegende Herkulesbeispiel hinzugefügt, so wie er gern in Aufreihungen eine Einzelheit neu hereinbringt. Ohne Entsprechung auf der anderen Seite bleibt es, daß sich Tertullian auf den "Ersten" aller Dichter, Minucius auf Platon beruft. Da für Minucius die zeitliche Abfolge nichts bedeutet (vgl. c. 19), wird aus Tertullians exinde bei ihm alibi. Der quod-Satz in Tertullians Venusglied kann auf die breitere Sarpedonaussage des Minucius (wo casus verdeutlicht wird) einwirken. Aber bei ihr ist noch anderes im Spiel. Was in dem Minucius-Abschnitt nicht mit Tertullian zusammenhängt, geht fast vollständig auf Cicero zurück. Wie hinter dem Platonsatz rep. IV 5,5 und Tusc. II 11,27 stehen (s. Waltzing), so steht hinter dem Sarpedonsatz div. II 10,25: hoc sentit Homerus, cum querentem Iovem inducit quod Sarpedonem filium a morte contra fatum eripere non posset (zur Variation quod-quoniam vgl. Oct. 40,2, oben Seite 7222). Die cruenti imbres freilich finden sich dort nicht. Man könnte dabei an ein Dichterzitat denken; aber nat. d. II 5,14 genügt zur Erklärung: guttis imbrium quasi cruentis. Wenn Tertullian der Spätere wäre, müßte er die ciceronischen Wendungen sorgsam ausgeschieden haben (vgl. dazu Seite 91ff.). Andererseits wirkt Tertullians erst zuletzt gefundene Pointe non ita dilectarum . . amicarum bei Minucius herein (zur Verschärfung der Fassung von nat. I 10,39: Becker 319). Kaum zu entscheiden ist, ob Minucius selbst für soror das abschwächende oder vielmehr die Pointe verderbende uxor eingesetzt hat (vgl. Axelson 107: "überhaupt ein Witzverderber") oder ob uxor erst später eingedrungen ist.

56 Bei den Virgilzitaten könnte man eine Gegenrechnung versuchen: sowohl das Urteil über die Fama (apol. 7,8) als auch die Charakterisierung der Karthago-Freundin Juno (apol. 25,8) kehren bei Minucius ohne Virgil-zitat wieder; allenfalls läßt auch er (wie apol. 25,16) imperium sine fide dedi 25,1 anklingen (dedit auxit fundavit Imperium, mit geläufiger Erweiterung). Aber an den im Text angegebenen Stellen geht es darum, daß in längeren Beispielreihen bei Minucius Virgilisches auftaucht.

56 Zu Saturn und der veränderten Argumentationsform vgl. unten Seite 9979.

57 Manches einzelne ließe sich hinzufügen. Wenn etwa 21,2 das aus Cicero übernommene Terenz-Zitat ohne Nennung des Dichters erscheint, so ist in gleicher Weise 34,7 der Name des Laberius (apol. 48,1) weggefallen. Wenn 18,11 bei den spontanen Ausrufen Minucius über apol. 17 hinaus anführt: ,,deus verus est", so entspricht das der Heraushebung der veritas etwa in der Simonides-Anekdote 13,4 oder in anderen Zusammenhängen (in der Vorlage steht das Wort bisweilen nur wenig davon entfernt -wie apol. 17,5).

58 Dazu Heinze, etwa 428, Diller 231, Büchner 2451. Das Folgende soll die Linie ergänzen oder verstärken, die ich in der 1954 veröffentlichtenUnter-suchung von einer anderen Seite her zu ziehen suchte. Damals sollte heraustreten, daß der Weg von den griechischen Apologeten über Ad nationes und das Apologeticum zu Minucius führt und daß diese Abfolge nicht umkehrbar ist. Jetzt geht es darum, daß bei Minucius das Apologetische (wie es sich allmählich herausgebildet hat) mit dem Ciceronischen zusammenwächst und daß sich dies nicht mehr so genau hätte voneinander absondern lassen, wie es Tertullian, wäre er der Spätere, getan haben müßte.

59 Im Text ist die ,endgültige' Fassung des Apol. aufgenommen; doch hängt von dieser Entscheidung hier nichts ab (vgl. unten Anm. 76). - Aus dem Zusammenhang der apol.-Stelle stammt wohl auch das Leitwort von c. 19 med. variare (Cicero betonte nur die inconstantia, bei Platon wie beim vulgus): apol. 47,8 sic et de ipso mundo variant - für den Sprachgebrauch Oct. 16,2 verwies schon Löfstedt, Eranos 6, 1906, 13, auf diese Stelle. So wie in c. 22 in die tertullianische Grundlage einzelnes Ciceronische eingefügt ist (oben Seite 8954), so in c. 19 in die ciceronische Grundlage einzelnes Tertullianische.

60 Oben Seite 1113 ist auf die Vorliebe des Minucius für viersilbige Satzschlüsse verwiesen worden. Dem ist jetzt noch hinzuzufügen, daß formaverit als Satzschluß apol. 21,10 vorgebildet ist. Hinter dem Kolonschluß 19,4 a deo traditum (daß das Überlieferte nicht anzutasten ist, ergab sich vorhin von anderen Argumenten her: oben Seite 1114) steht apol. 6, 10: (adhuc quod videmini fidelissime tueri) a patribus traditum. Möglicherweise steht hinter 20,1 aut nunc Christianos philosophos esse aut philosophos fuisse tam tunc Christianos eine Aussage Tertullians über die Kaiser, apol. 21,24 (vgl. oben Seite 1318). Das omitto am Anfang 19,4 ist tertullianische Gebärde, auch otiosum est ire per singulos (24,1) erklärt sich von Tertullian aus; vielleicht wirkt auch apol. 46,8 (zu Thaies) ille princeps physicorum auf c. 19,4 philosophus ille principalis ein. Zu variare vgl. die vorige Anmerkung.

61 Daß Minucius überhaupt gern zu einer neuen Vorlage greift, wenn ihn die alte im Stich läßt, war außer bei dem Zwischengespräch etwa bei einer Wendung wie laeti hilaresque 40, 4 zu beobachten.

62 H. Diller hat darauf hingewiesen, daß von der Entscheidung der Prioritätsfrage für Tertullian wenig abhängt, daß sie aber für die Interpretation des Octavius um so wichtiger ist (Gnomon 21, 1949, 269). Und gewiß läßt sich beim Einzelvergleich mit Tertullian für die Gedankenführung und für den Stil des Minucius viel gewinnen. Aber bei der gegenwärtigen Forschungslage blieb nichts anderes übrig, als die Zusammenhänge mit Tertullian erst einmal auszuklammern und das Werk aus sich heraus zu interpretieren.

63 Hier seien nur noch einmal die Abschnitte genannt, die so eng aufeinander bezogen sind: Ein Gott Oct. 18f. - apol. 17; Götterkritik Oct. 21-24 - apol. 10-15; Dämonen Oct. 26ff. - apol. 22f.; Rom Oct. 25 - apol. 25; Christenprozesse Oct. 28 - apol. 1 ff. Detaillierte Gegenüberstellung bei Pellegrino 9 f.

64 So ist in Oct. 8-9 und 28-31 der Inhalt von apol. 7-9 und 16 bestimmend; dazwischen steht manches aus Seneca. Oct. 36f. knüpft an apol. 48-50 an.

65  Bezeugt ist das freilich nicht, und die afrikanischen Inschriften mit den Namen der Dialogfiguren helfen kaum weiter. Aber für die afrikanische Herkunft spricht die Erwähnung von Fronto als Landsmann des Octavius (Cirtensis noster 9,6) - Minucius hat lange Zeit mit Octavius zusammengelebt; weiter der Einfluß auf Cyprian. Daß die Schrift des Minucius zusammen mit der des Afrikaners Arnobius in einem einzigen Exemplar auf uns gekommen ist, läßt es als wahrscheinlich erscheinen - worauf mich Herr Kollege Bernhard Bischoff freundlicherweise aufmerksam macht -, daß die ganze Verbreitung von einem afrikanischen Archetypus ausgegangen ist. ----Zu der Frage vgl. zuletzt G. W. Clarke, Classical Philology 61, 1966, 253.

66 Zum Abstand zwischen wirklichem und geschriebenem Gespräch s. oben Seite 7223.

67 Anführen lassen sich nur untergeordnete Wendungen wie 8, 3 inlicita ac desperata factio (nach apol. 38, 1); die Erwähnung der Verehrung des kaiserlichen genius 29, 5.

68 Schon Monceaux (468.476) hat mit Nachdruck darauf hingewiesen; vgl. Harnack 327.

69 Aus dem Verhältnis zu Novatianus ist dagegen kaum etwas zu gewinnen. Zum Problem der Datierung von De trinitate: H. Weyer, lat.-deutsche Ausgabe, Darmstadt 1962, 14f.

70  Bei Seneca und Minucius (24,13) wird der furor der vielen, der zur Entschuldigung oder zum Schutz wird, im Zusammenhang des Bellona-kultes erwähnt, Cyprian dagegen spricht von dem allgemeinen Blutvergießen (madet orbis mutuo sanguine; et homicidium cum admittunt singuli, crimen est ---- virtus vocatur, cum publice geritur. inpunitatem sceleribus adquirit non innocentiae ratio, sed saevitiae magnitudo c. 6ex.). Ebenso sprechen Tertullian (apol. 15,7) und Minucius (25,11 - auch hier wäre ein genauer Vergleich zwischen beiden ergiebig) von den Priestern, die inmitten der Heiligtümer Schandtaten treiben, Cyprian überträgt den Gedanken auf das Forum: inter leges ipsas delinquitur, inter iura peccatur (c. 10). -Das Zwischengespräch des Octavius wirkt Ad Donatum 2 nach: non eloquentiae viribus nititur ad fidei argumenta, sedrebus. - Die Dialogsituation ist c. 1 entfaltet; das laeti-Motiv bildet auch hier den Schluß (c. 16) - im Unterschied zum Octavius ohne eine Funktion.

71 Vgl. zu den Zusammenhängen zuletzt Beaujeu LXIX (mit Tabelle).

72  Für Cyprians Verfasserschaft ist wieder M. Simonetti eingetreten: Sulla paternitä del ,Quod idola dii non sint', Maia 3, 1950, 265-88.

73 Diese These (Minucius schöpfe aus dem - als cyprianisch angesehenen -Traktat, sei mithin nach Cyprian anzusetzen) hatte vor allem J. Martin in seiner Octavius-Ausgabe (Florilegium patristicum 8, Bonn 1930, 4-8) verfochten; danach dann H. G. Opitz, RE 15 (1932), 1818f.; vgl. M. Schuster, Wiener Studien 52, 1934, 165 f. und K. Prinz, ebd. 57, 1939, 143. Dagegen etwa Beutler 8; B. Axelson, Eranos 39, 1941, 67.

74 Im Anschluß an Dillers Argumentation (100-14) vgl. wieder Axelson, Eranos 1941, 67-74. Die Einwände Simonettis überzeugen nicht.

75 So wird eine Zeitbestimmung wie sub extimis curriculis saeculi (apol. 21,6) ,verdeutlicht' zu vergente saeculo et mundi fine iam proximo (c. 11), aus extorres (apol. 21,5) wird profugi (c. ioex.); der Satzanhang Oct. 27,1 falsis pluribus involuta, der dort für das Folgende die Grundlage bildete (vgl. oben Seite 631), wird zu einer eigenen Aussage (c. 7 ex.). Beseitigt wird die Hervorhebung Platons (c. 6).

76  In c. 19 läßt sich aus Minucius kaum etwas für den Cicerotext gewinnen. Ebenso muß man wohl offenlassen, welche der beiden Fassungen des Apologeticum dem Minucius vorgelegen hat. Von Quod idola aus haben schon die frühen Herausgeber den Octaviustext ergänzt oder berichtigt -tactu purior est Oct. 18,8 ist nur der sichtbarste Gewinn (die Aussage ist vom Zusammenhang und von apol. 17,2 her gefordert, aber ihr Wortlaut hätte sich ohne Quod idola nicht finden lassen).

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